Bremen – Aus! Schluss! Vorbei! Claudio Pizarro hat seine Karriere als Fußballprofi bei Werder Bremen beendet – und nicht nur dort. „Mich braucht niemand mehr anzurufen“, sagt der 41-Jährige im Interview. Dabei spricht der Peruaner natürlich auch über seine Zukunft. Demnächst wird es Gespräche mit dem FC Bayern geben, für den Pizarro neun Jahre lang stürmte. Die Münchner möchten ihn als Markenbotschafter engagieren.
Claudio Pizarro, am Dienstag haben Sie Ihren Spind in der Kabine ausgeräumt. Danach sind Sie mit zwei blauen Müllsäcken aus dem Stadion gekommen. Was war da alles drin?
Ich hatte sehr viel Post von Fans, die ich noch lesen muss. Viele Schuhe waren auch dabei.
Können Sie sich etwa von Schuhen nicht trennen?
Doch eigentlich schon. Ich werde sie verschenken an Leute, die mich unterstützt haben. Da brauche ich sehr viele.
Wie hat es sich denn angefühlt, zum letzten Mal in dieser Kabine zu sein?
Es war okay. Ich war darauf vorbereitet. Meine Karriere habe ich ja immer wieder verlängert, aber mir war klar, dass dieser Moment kommen würde. Es war nicht einfach, den Jungs Tschüss zu sagen, aber ich weiß ja, dass ich zurückkommen werde, um sie wiederzusehen und um sie zu unterstützen, wenn sie spielen. Jetzt ist aber erst mal das Karriereende, und ich muss gehen.
Ist es denn wirklich das Ende? Oder kommt doch noch ein Abenteuer in den USA oder Australien?
Nein, nein, nein. Das ist jetzt das Ende. Mich braucht niemand mehr anzurufen.
Warum nicht?
Ich habe das für mich so entschieden. Ich glaube, es ist genug. Die Verbindung zum Fußball wird mein ganzes Leben bestehen bleiben. Ich werde bestimmt wieder etwas im Fußball machen, aber was genau jetzt kommt, weiß ich noch nicht.
Wollen Sie vielleicht Trainer werden?
Nein, das nicht. Ich glaube zwar schon, dass ich ein guter Trainer wäre, das haben mir auch einige meiner ehemaligen Trainer gesagt. Aber wenn ich das mache, würde ich viel mehr Zeit mit Arbeiten verbringen, als zu Hause zu sein. Und das möchte ich nicht.
Was haben Sie denn in den nächsten Wochen vor?
Ich werde erst mal in Bremen bleiben, denn ich muss hier noch ein paar Dinge erledigen, Freunden Tschüss sagen. In zwei Wochen geht’s dann zurück nach München. Da werde ich mich zu Hause erst mal wieder einrichten und mir überlegen, was ich mache.
Theoretisch hätten Sie nach dem Karriereende auch fest in Bremen bleiben können. Was spricht eher für München als Lebensmittelpunkt?
Ich habe mein Haus da. In Bremen habe ich keines mehr. Als ich das dritte Mal von Werder weggegangen bin, habe ich es verkauft, weil ich dachte, dass ich nie wiederkomme. Dann kam es anders (lacht). Meine kleine Tochter geht noch zur Schule und möchte in München ihren Abschluss machen, meine beiden größeren Kinder leben inzwischen in London.
Der FC Bayern hat bereits angekündigt, Sie als Botschafter des Vereins engagieren zu wollen. Was genau sollen Sie in dieser Rolle machen?
Das haben wir noch nicht besprochen. Ich habe gesagt, dass ich erst meine Karriere zu Ende bringen möchte. Wenn ich bald in München bin, werden wir darüber reden. Ich habe immer gesagt, dass ich das Angebot interessant finde, beim FC Bayern etwas zu machen. Wie die Aufgabe genau aussehen wird, müssen wir noch klären.
Machen Sie sich nach dieser Saison Sorgen um den SV Werder?
Ja, das muss ich so sagen. Ich habe den Jungs eine deutlich bessere Saison gewünscht.
Was muss denn dafür passieren?
Es müssen sich ein paar Sachen ändern, aber das ist der Job der Geschäftsführung und des Trainerstabs.
In Ihrem Gestüt in Peru haben fast alle Pferde Namen, die einen Fußballbezug haben – „Klassenerhalt“ zum Beispiel. Heißt das nächste Pferd jetzt „Relegation“?
Das kann sein, das ist eine gute Idee: Relegation!
Wie sehr ärgert es Sie, dass Sie in Ihrer letzten Saison kein Tor und keinen Assist mehr verbucht und auch nicht mehr allzu viel gespielt haben?
Das ist am Ende einer Karriere normal. Wenn du älter bist, spielst du eben nicht mehr so oft. Dazu hatte ich noch Verletzungsprobleme.
Im Frühjahr kam die Corona-Pandemie. Ihre Familie war selbst betroffen. Wie haben Sie die Zeit erlebt?
Ich musste in Quarantäne, 14 Tage zu Hause bleiben. Das war nicht einfach. Meine komplette Familie hat einen Test gemacht, und meine Tochter war schwach positiv. Das Komische ist: Vor zwei Wochen hat sie einen Antikörpertest gemacht und hatte keine Antikörper. So genau wissen wir es also nicht.
Was haben Sie während der zwei Wochen zu Hause gemacht?
Ich war die ganze Zeit mit meinem Sohn zusammen in Bremen. Er wäre fast durchgedreht, das war nicht einfach für ihn (lacht). Wir haben Filme geguckt und verschiedene Motive gepuzzelt. Da waren Städte dabei, Häuser, Pferde. Puzzles mit 3000 Teilen. Jetzt habe ich fast eins mit 5000 Teilen fertig.
Die Mannschaft hat Sie nach dem letzten Spiel in Heidenheim hochleben lassen und in die Luft geworfen.
Das war etwas ganz Besonderes für mich. Dass sie mich hochleben lassen, heißt ja, dass ich etwas Gutes getan haben muss. Ich hatte auch keine Angst, dass sie mich fallen lassen. Es standen ja genug von den Jungs unter mir.
Im Bus ging es danach noch weiter.
Natürlich war die Freude groß! Wir hatten ja unser Ziel erreicht, und jeder geht jetzt in den Urlaub.
Es gab Kritik daran, dass die Mannschaft so ausgelassen gefeiert hat.
Na ja, wir haben ja nicht so getan, als ob wir die Champions League gewonnen hätten. Wir hatten sehr viel Stress während der Saison. Wenn du es dann geschafft hast, in der Liga zu bleiben, ist einfach Zeit, das zu feiern.
Gibt es einen Moment in Ihrer Karriere, an dem Sie sich im Nachhinein anders entschieden hätten?
Ja, ein Elfmeter im Länderspiel gegen Argentinien. Ich wusste vor dem Spiel, wo ich hinschießen wollte, wenn es Elfmeter geben würde. Die letzten Male hatte ich immer in die gleiche Ecke geschossen und dachte: Bestimmt weiß der Torwart das. Dann habe ich den Ball genommen und in die andere Ecke geschossen. Ich verstehe bis heute nicht, wie das passieren konnte. Der Torwart hat gehalten. Das ist der Moment in meinem Fußballleben, den ich bereue.
Wissen Sie schon, wann Ihr Abschiedsspiel im Weserstadion stattfindet?
Wahrscheinlich im nächsten Jahr. Aber wir müssen natürlich abwarten, wie sich die Pandemie entwickelt.
Interview: Björn Knips