Es kann schnell zu Ende sein mit dem Leben, das hat Paul Barth aus Gröbenzell voriges Jahr mehr als nur erahnen können.
Er war im Italien-Urlaub, stieg auf den Vesuv. Oben dann: Herzinfarkt. „Ein Glück, dass zwei junge italienische Ärzte mich wiederbelebt haben, der eine mit Mund-zu-Mund-Beatmung, der andere ist losgelaufen, um einen Defibrillator aufzutreiben.“ Paul Barth wurde nach Mailand geflogen, er wurde ins Koma versetzt. „Das war im April“, sagt er, „aufgewacht bin ich im August.“ Krankenhauskeime hatte er sich auch noch eingefangen, Nachoperationen zuhause in München waren erforderlich. Doch er ist jetzt wieder auf dem Damm. Und mittendrin in seinem großen Thema: Die Olympischen Spiele 1972 in München.
Sie prägten Barths Leben. Er war Teilnehmer, Einer der wenigen lokalen Matadoren. Und erfolgreich: Im Judo gewann der Bankkaufmann Paul Barth die Bronzemedaille, obwohl er in seiner Gewichtsklasse ein leichter Junge war. Eine kleine Sensation.
Der Sommer von 1972 lässt ihn nicht los. Es war ihm eine Ehre, als er vor fünf Jahren von der Olympiapark GmbH gebeten wurde, daran mitzuarbeiten, dass die Vergangenheit eine Zukunft hat. Er sollte seine Kontakte spielen lassen und Exponate für ein Olympia-Museum sammeln. 1500 Stück hat Barth übergeben. Doch so, wie es aussieht: Aus dem Museum, wie man es sich einmal vorstellte, wird nichts werden. Und Barth, 74, fühlte sich wie jemand, der in der Luft hängt.
„Mir tun die Leute leid, die gespendet haben“, erklärt er. In unserer Zeitung hatte es 2017 einen Aufruf gegeben, Paul Barth in seinem Ansinnen zu unterstützen. „Auf einmal hatte ich den Keller voll.“ Er hat selbst „zigtausend Euro investiert – wenn es Plakate für 200 bis 300 Euro gab, habe ich das bezahlt“.
Ein Olympia-Museum aufzubauen und einzurichten, hat in den politischen Gremien keine Mehrheit gefunden. Tobias Kohler, Sprecher der Olympiapark GmbH, sagt: „Es gibt ja Studien, was ein Museum genau ist. Und das würde nicht funktionieren.“ Eher denkbar: „Eine Dauerausstellung. Am Eingang zum Olympiapark wäre der Favorit gewesen. Das ist aber aus zeitlichen Gründen bis 2022 nicht machbar.“ Kohler bezeichnete das Thema vor knapp zwei Wochen „als nicht völlig aufgegeben, man könnte eine wie auch immer geartete Dauerausstellung am jetzigen Standort des Eissportzentrums mitplanen“. Das wäre ein „Fernziel, auch wenn es nicht genau zu benennen ist“.
Die Sachen, die Paul Barth säuberlich verpackt abgegeben hat, sind im Olympiastadion eingelagert. „Ein paar Highlights sind uns bekannt, aber man muss erst mal sichten“, sagte Kohler. Paul Barth versichert, dass er wahre Schätze geliefert hat. Etwa: „Das Radl, mit dem unsere spätere Königin Silvia durchs Olympische Dorf gefahren ist.“ Oder: „Sechs Kassetten Schmalfilm aus der DDR.“ Der frühere Sportchef des Bayerischen Rundfunks, Werner Rabe, hat das Material gesichtet – großartig und hier noch völlig unbekannt, ein wertvolles Zeitdokument. Barth: „Da hätte man die Meinungen der DDR-Oberen über diese Spiele.“ Das könnte eine Pretiose einer multimedialen Ausstellung sein. Aber man müsste jetzt mit dem Planen beginnen.“
Er hat sich voriges Jahr einigermaßen verzweifelt mit einem Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter gewandt. Es kam dann wenigstens zu einem Treffen mit der da noch amtierenden Sportbürgermeisterin Christine Strobl und Olympiapark-Chefin Marion Schöne. Barth, begleitet von Speerwurf-Olympiasieger Klaus Wolfermann und der Münchner Ruderin Edith Eckbauer (Bronze 1976 in Montreal): „Man hat mir gesagt, man würde gerne ein Museum errichten. Doch sie haben keinen Platz und kein Geld.“
Christine Strobl ist im Ruhestand, es gibt nun eine neue Sportbürgermeisterin: Verena Dietl. Passenderweise ist sie seit vergangener Woche neue Aufsichtsratsvorsitzende der Olympiapark GmbH. Sie musste sich in die Thematik erst einlesen. Gestern kündigte sie an, initiativ zu werden: „Ich fände es schön, wenn wir schon 2022 die Sachen nutzbar machen, damit sie nicht nur eingelagert sind. Ich würde es nochmals aufnehmen. Das ist auch mein Eigeninteresse.“ Dietl ist gebürtige Münchnerin, Jahrgang 1980, eine Nach-Olympia-Geborene; „Ich kenne auch nur die Erzählungen. Aber wir sollten ein Haus mit Erinnerungsstücken für die nächste Generation haben.“ Oder sie sinnvoll über den Park verteilen.
Am 50. Olympia-Geburtstag kommt München eh nicht vorbei. Will es auch gar nicht. Auch wegen des historischen Datums hat es sich erfolgreich um die European Championships 2022 beworben, eine Woche mit Europameisterschaften in mehreren Sportarten, die Premiere 2018 in Glasgow und Berlin (Leichtathletik) ist gut angenommen worden. Die Championships riechen nicht so nach Kommerz und Geld, wie es die in Gigantismus ausgearteten Olympischen Spiele mittlerweile tun.
Es gibt ein Olympia-Würdigungskonzept. Motto: fünf Ringe, fünf Überschriften. Die European Championships stehen für Sport, über die gesamte Stadt verteilt sollen auch die Ressorts Musik, Kultur, Architektur & Design, Innovation & Zukunft bespielt werden. Federführend: das Kulturreferat. Eine Kick-off-Veranstaltung mit hundert Teilnehmern gab es, doch das Folgetreffen entfiel bislang: Corona.
Paul Barth gefiel der Umgang der Stadt mit dem olympischen Erbe lange nicht. Ihn trieb die Sorge, dass die Erinnerung „an diese Blütezeit Münchens“ verloren gehe. „Noch gibt es Leute, die das miterlebt haben.“ Zeitzeugen wie Hans-Jochen Vogel, der als Oberbürgermeister in den Sechzigern die Spiele nach München holte. Paul Barth, der Medaillengewinner von 1972, kann sich vorstellen, einen Kreis von Olympiafans zu gründen. „Je größer, desto besser.“
Barth will nicht vergebens zusammengetragen haben, was nachfolgenden Generationen einen Eindruck von damals verschaffen könnte. Er will nicht, dass Exponate „vermodern oder bei Ebay auftauchen“. Er hat überlegt, ob er sie dem Bayerischen Landesmuseum in Regensburg übergeben soll, mit dem hat er schon einen ersten Termin ausgemacht,„aber lieber möchte ich sie in München behalten“. Verena Dietl, die neue Sportbürgermeisterin, sagt, auch das Münchner Stadtmuseum könne eine Option sein.
Das sind gute Nachrichten für Barth. Er sprüht nun wieder vor Energie: Am Wochenende fährt er zur ehemaligen Hostessenausbilderin von 1972, sie lebt in Dießen am Ammersee im Seniorenheim und hat interessante Erinnerungsstücke.