München – Auch für „Magic Heinzi“ macht das Homeoffice keine Ausnahme. Als das Corona-Virus die Sportwelt Anfang Mai lahm legt, packt der Österreicher 50 Paar Ski aus der Head-Zentrale in Kennelbach in sein Auto. Deponiert die Fracht im heimischen Keller. Wachsen – abziehen. Wachsen – abziehen. Wachsen – abziehen. So sieht der Alltag des 57-Jährigen in Kurzarbeit aus. „Es war jedoch mehr Beschäftigungstherapie“, erinnert sich der Servicemann. Ohne Rückmeldung der Athleten und ein Datum für die nächsten Trainingskilometer macht die Arbeit von „Magic Heinzi“ wenig Sinn.
Weltmeister, Olympiaerfolge und Gesamtweltcup-Sieger. Diese Titel fahren die Schützlinge von Hämmerle reihenweise ein. Auch dank seiner Kunst an den Brettern. Vor allem, wenn Geschwindigkeit das Maß der Dinge ist. „Im Slalom und Riesenslalom ist ist die Präparation der Kante wichtiger als Belag, Struktur und Wachs. In der Abfahrt nicht“, ist die Geheimwaffe der Speed-Könige überzeugt.
Geboren wird der Ski-Magier als Heinz Hämmerle. Seine Eltern besitzen eine Tischlerei in Lustenau im Vorarlberg. Wie jeder kleiner Junge in seiner Heimat träumt er, einmal als Ski-Rennläufer seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Über Rheintal-Testrennen kommt er allerdings nicht hinaus. Mit 16 Jahren beginnt er beim österreichischen Skihersteller Kästle eine Lehre zum Ski-Erzeuger.
Dem Vater zuliebe folgt noch eine Tischler-Lehre. Den Betrieb der Eltern will er dennoch nicht übernehmen. „An meiner Entscheidung hatte er zunächst zu knabbern. Als er gesehen hat, dass ich gut bin, in dem was ich mache, und zudem Erfolg habe, hat er seinen Frieden mit meiner Entscheidung gemacht. Heute ist er stolz auf mich“, so „Magic Heinzi“.
Nach der Tischler-Lehre, klopft der Ex-Azubi wieder bei Kästle an. Doch dort wird kein Servicemann gesucht. Er kommt beim Konkurrenten Head unter. Und sorgt mit seiner Arbeit schnell für Furore. Auf das Treppchen reicht es für seine Fahrer zwar nur unregelmäßig, der Rest der Ski-Welt bemerkt allerdings: Die Hämmerle-Fahrer sind auf verdammt schnellen Ski unterwegs. Als die junge Firma in den „Austria Ski Pool“ aufgenommen wird – Head-Fahrer vom SkiVerband finanziell unterstützt werden – arbeitet er plötzlich für die talentiertsten Fahrer Österreichs.
Patrick Ortlieb, Hannes Trinkl oder Armin Assinger sind die ersten Landsmänner, die er mit Material versorgt. Besonders die Leistungen von Ortlieb explodieren mit dem neuen Servicemann.. Hämmerle ist von Anfang an dabei. Von Ortliebs ersten Europacup-Einsätzen bis zu seinen Triumphen auf der ganz großen Bühne. Mit dem Olympischen Gold 1992 in Albertville als Gipfel ihrer Zusammenarbeit.
Aber wie ist aus Heinz Hämmerle „Magic Heinzi“ geworden? Den ersten Teil des Spitznamen verpasst ihm Patrick Ortlieb. Den „Heinzi“ erfindet dagegen eine Frau. Nicht irgendeine. Sondern das weibliche Gesicht des Ski-Rennsports in den letzten 15 Jahren – Lindsey Vonn. Für sie bricht Hämmerle einen seiner Grundsätze: „Bevor ich eine Frau betreue, kündige ich lieber“, schwört er jahrelang. Seine Maxime, immer am oberen Limit zu agieren, sieht er bei der Arbeit mit Frauen gefährdet. Da sie schon allein durch ihrer körperlichen Voraussetzungen nicht mit den Top-Herren des Weltcups mithalten können.
2009 besteht für Head allerdings die Chance, die Überfahrerin zu verpflichten. Und die Firma mit US-Wurzeln hat ein Ass im Ärmel – Heinz Hämmerle. Die Konzern-Chefs versprechen Vonn den besten Servicemann überhaupt, wenn sie sich für sie entscheidet. Vonn schlägt ein.
Jetzt muss nur noch Hämmerle überzeugt werden. Das ist einfacher, als viele befürchten. Nicht der Macho-Grundsatz behält die Oberhand, sondern die Neugier auf eine der schillerndsten Athletinnen. Als das Angebot auf dem Tisch liegt, zögert Hämmerle keine Sekunde. Er fliegt zu der US-Amerikanerin ins Trainingslager nach Chile.
An Bord: ein früherer Ski von Vonns Landsmann Bode Miller. Zur Begrüßung legt der Österreicher seinem neuen Schützling das Paar vor die Füße. Der 1,75 Meter großen und 75 Kilo schweren Sportlerin traut er zu, die wesentlich härteren Ski zu bändigen. Vonn ist auf Anhieb eine Sekunde schneller. Ab sofort ist Heinz Hämmerle ihr „Heinzi“. Ihr persönlicher Ski-Magier.
Was verbindet den bodenständigen Österreicher mit dem Glamour-Girl? „Der absolute Siegeswillen“, antwortet Hämmerle, ohne nachzudenken. Sportlich auf dem Höhepunkt ist das Duo bei den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver, wo Vonn Gold in der Abfahrt gewinnt. Natürlich mit Herren-Ski.
Im Winter lebt der 57-Jährige ein planbares Leben. Anreise, Training, Rennen, Abreise – nächstes Rennen. Stress pur. Lange Tage, kurze Nächte. Aber er weiß, woran er ist. An Rennwochenenden wird nach dem Abschlusstraining entschieden, welche Ski in Frage kommen. Jeder Ski wird zwei- bis dreimal gewachst. Als nächstes schleift er die Seitenwangen und poliert sie. Mit einer Wachspaste werden sie eingelassen. Nun macht er die Kanten mit einer Feile, einem Winkel oder einer Maschine scharf. Die Ski stehen die Nacht über im Skiraum oder im Auto, da es dort kälter ist und das Wachs besser einziehen kann.
Am nächsten Morgen klingelt sein Wecker zwischen fünf und sechs. Auf dem Weg in den Skiraum informiert er sich über Lufttemperatur, Schneetemperatur und Luftfeuchtigkeit. Nun widmet sich Hämmerle wieder seinem Handwerk: Das Wachs wird abgezogen, ausgebürstet und poliert, bis die Struktur komplett wachsfrei ist. Mit einer Diamantfeile schärft er ein weiteres Mal. Von den Trainern bekommt er nun direkt die Neuigkeiten zu den Wetterbedingungen von der Piste. Nach diesen Infos wählt er das Pulver, Flüssigwachs oder Spray für das Finish aus. Es soll so wenig Schnee wie möglich hängen bleiben. Welches Pulver, Flüssigwachs oder Spray zum Einsatz kommt? Hängt stark von den Bedingungen ab, bleibt jedoch Betriebsgeheimnis. Eineinhalb Stunden plant er für einen Ski ein.
Im Rennmodus sind sie scharf wie ein Skalpell. Vergangenes Jahr stolpert ein deutscher Kollege mit Renn-Ski auf der Schulter. Der Ski durchtrennt sein Ohr in zwei Hälften. Einige Kollegen arbeiten daher mit Handschuhen. Hämmerle nicht. Er schwört auf das Gefühl in seinen Händen. Mit Handschuhen würde er diese Gabe verlieren, befürchtet er.
Im Sommer befindet sich der Servicemann permanent auf Abruf. Hängt in der Luft. Von jetzt auf sofort kann das Telefon klingeln: Auf geht‘s, Sachen packen! Auf die Gletscher in Chile oder Neuseeland. „Die privaten Urlaube kann man nur sehr schwer planen. Aber man gewöhnt sich daran“, sagt der Österreicher über die Tücken seines geliebten Jobs.
Seit einem Jahr zaubert er für die deutschen Fahrer Josef „Pepi“ Ferstl und Dominik Schwaiger. Vor allem Ferstl soll von dem Wissen der Skiraum-Legende profitieren. Allerdings hätte man noch gar nicht alles herausholen können, da Verletzungen dem maximalen Erfolg bis dato im Weg gestanden hätten, findet „Magic Heinzi“. Er könne sich gut vorstellen, mit Ferstl in Rente zu gehen. Gute Aussichten für den 31-jährigen deutschen Ski-Profi.