München – Borussia Dortmund zahlt fast 27 Millionen Euro für einen 17-Jährigen aus der zweiten englischen Liga. Was auf den ersten Blick nach einer erneuten Episode des Transfer-Wahnsinns klingt, ist nur der vorläufige Höhepunkt einer langjährigen Entwicklung. Denn: Vor den vergangenen drei Spielzeiten kauften die Bundesligaclubs außerhalb der deutschen Grenzen nirgendwo so oft und gerne ein wie in England. BVB-Neuzugang Jude Bellingham ist bereits der 41. Akteur, der aus einer der zwei ersten englischen Ligen nach Deutschland wechselt.
Gründe dafür: Die Premier-League-Clubs haben in den letzten zehn Jahren 13,6 Milliarden Euro für Neuzugänge ausgegeben, doppelt so viel wie die spanischen Vereine und fast dreimal so viel die Bundesligisten. Und sie investieren das Geld in internationale Stars. Bestes Beispiel ist heuer der FC Chelsea, der nach Timo Werner (für 53 Mio. von RB Leipzig) und Hakim Ziyech (40 Mio., Ajax Amsterdam) auch noch auf dem besten Weg ist, Leverkusens Kai Havertz zu verpflichten.
Die Leidtragenden sind meist die Spieler aus dem Nachwuchs. In der Premier League entfallen nur 8,5 Prozent der Spielminuten auf Akteure unter 22 Jahren. In der Bundesliga sind es immerhin schon zehn Prozent. Die deutschen Clubs genießen spätestens seit dem Durchbruch von Jadon Sancho beim BVB einen ausgezeichneten Ruf auf der Insel. Der Offensivmann sah in der Jugend von Manchester City keine Perspektive mehr, wechselte 2017 für fast acht Millionen nach Dortmund. Sancho eroberte die Bundesliga im Sturm, könnte heuer für eine dreistellige Millionensumme zurück in die Premier League wechseln.
Die Talente wissen inzwischen: In Deutschland ist der Weg auf die große Bühne deutlich kürzer als in der Heimat. Weitere prominente Beispiele dafür sind Angelino (RB Leipzig), Jonjoe Kenny (FC Schalke 04), Dodi Lukebakio und Marko Grujic (beide Hertha BSC). Kein Wunder, dass sich auch der FC Bayern verstärkt im englischen Nachwuchsbereich umschaut. Vergangenen Sommer holte Sportvorstand Hasan Salihamidzic mit Bright Arrey-Mbi (17) und Jamal Musiala (17) gleich zwei Kicker aus dem Nachwuchs des FC Chelsea. Letzterer feierte bereits sein Bundesligadebüt und lief gegen Ende der Saison regelmäßig für die Amateure auf, Arrey-Mbi soll künftig bei den Profis mittrainieren.
Die neuesten Namen, mit denen die Münchner in Verbindung gebracht werden, sind Benicio Baker-Boaitey (16, West Ham United) und Barry Hepburn (16, Celtic Glasgow). Die guten Erfahrungen des FCB lassen sich nämlich auf die gesamte britische Insel samt Schottland ausweiten. Ebenfalls von Celtic wurde im letzten Sommer Liam Morrison (17) an den Campus geholt. In diesem Sommer rückte er in die Münchner U 19 auf. jua