München – Für einen Fußball-Profi befindet sich Lukas Podolski bereits in einem eher gesetzteren Alter, aber die Physis des 35-Jährigen ist nach wie vor beeindruckend. Seine mächtigen Oberschenkel lassen erahnen, was für eine gewaltige Schusskraft in ihnen immer noch steckt. Podolski gilt als einer der letzten Straßenfußballer der Nation, der es bis ganz nach oben geschafft hat – und dabei trotzdem mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben ist. 2014 krönte Prinz Poldi seine Karriere mit dem WM-Titel. Co-Trainer war damals Hansi Flick. „Ihm drücke ich fürs Champions-League-Finalturnier ganz besonders die Daumen“, sagt Poldi am Rande eines Arzttermins in der Praxis von Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt im Alten Hof. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt der 130-fache Nationalspieler (49 Tore) unter anderem, was Flick zum Super-Trainer macht, und wie wichtig die Fans für die Fußballer wirklich sind.
Lukas Podolski, die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es Ihnen?
Ich kuriere gerade eine Oberschenkelverletzung aus, und das Sprunggelenk macht ein bisschen Probleme. Aber ich kann schon in ein paar Tagen wieder mit dem Lauftraining beginnen. Der Mull macht das schon.
Klingt nach bedingungslosem Vertrauen zu Dr. Müller-Wohlfahrt. Können Sie uns das erklären?
Ich kenne den Mull jetzt schon seit 15 Jahren. Er hat mich in meiner Karriere von Anfang an begleitet, ich war mit allen größeren Verletzungen bei ihm. Jede einzelne ist super ausgeheilt, nie ist an derselben Stelle wieder etwas aufgebrochen. Andere Ärzte schauen in erster Linie, dass du schnell die Schmerzen los wirst. Aber dem Mull geht’s darum, dass du wirklich wieder gesund wirst. Für mich ist er der Beste seines Fachs in Europa.
Auch die Bayern wollen wieder die Besten Ihres Fachs in Europa werden. Trauen Sie ihnen den Champions-League-Titel zu?
Ich glaube, sie haben gute Chancen. Wenn sie an ihre Leistungen aus der Bundesliga anknüpfen können, sind sie auf jeden Fall ein Titelanwärter. Ich habe ja noch Kontakt zu dem einen oder anderen in der Mannschaft – und zu Hansi Flick, er hat mir neulich erst eine nette SMS geschrieben. Ich habe das Gefühl, dass die Bayern gerade wieder dieses Mia-San-Mia-Gefühl leben, es steht wieder eine echte Mannschaft auf dem Platz. Die Jungs wollen das Triple unbedingt, dieser Hunger ist wieder da. Das hat der Hansi geschafft. Es ist toll, was er in München auf die Beine gestellt hat.
Was zeichnet den Trainer Flick aus?
Wenn du eine Top-Mannschaft mit Spielern auf diesem Niveau trainierst, reicht es nicht, wenn du taktisch was drauf hast. Du musst mit den Spielern auch menschlich können, auf sie eingehen. Manchmal wollen sie auch einfach nur in den Arm genommen werden oder im persönlichen Gespräch etwas loswerden. Das macht der Hansi super. Dass er es kann, hat er schon bei der Nationalmannschaft bewiesen.
Ganz Europa staunte zuletzt über die Flick-Bayern. Halten Sie die Münchner für den ersten Anwärter auf den Champions-League-Titel?
Bayern hat sicher gute Chancen, aber für mich gibt es keinen eindeutigen Favoriten. Auf diesem Niveau gibt’s in vielen Mannschaften Spieler, die eine Partie entscheiden können. Es kommt auch auf die Tagesform an – zumal es dieses Jahr ab dem Viertelfinale nur K.o-Spiele geben wird. In zwei Spielen kannst du eine schwächere Leistung noch mal korrigieren, das ist alles steuerbarer, bei einem Spiel geht das nicht. Noch dazu haben die Bayern schon länger keine Wettkampfpraxis, die anderen Top-Ligen spielen länger. Ich bin gespannt – wie alle anderen Fans auch.
Das Turnier in Lissabon wird als erstes europäisches Geisterfinale in die Geschichte eingehen. Wie fühlt es sich an, vor leeren Rängen zu spielen?
Ganz ehrlich: Sch…! Ich glaube zwar nicht, dass die Spiele dadurch schlechter werden, du kannst auch ohne Zuschauer performen. Aber deine Gefühlslage ist eine ganz andere.
Und was ändert das?
Es gibt Situationen, in denen dich die Fans tragen, zum Beispiel, wenn du hinten liegst. Dann können sie dir den Extra-Kick geben.
Fehlt Ihnen dieser Kick?
Ja klar. Man merkt den Unterschied doch schon beim Aufwärmen. Du gehst raus, und kaum einer ist da – dort, wo sich normalerweise schon die Fans warmsingen. Ein bisschen Show gehört zum Fußball einfach dazu.
Sie gelten aber auch als Fan unter den Spielern. Wie bewerten Ihre weniger emotionalen Kollegen die Geisterspiele?
Ich glaube, dass derzeit viele Mannschaften in Europa die Fans vermissen, auch wenn sie es vielleicht nicht zugeben. Das sollte man auch bei aller Kritik an manchen Fan-Gruppierungen wie den Ultras mal bedenken.
Wie geht’s bei Ihnen persönlich sportlich weiter?
Ich habe noch ein weiteres Jahr Vertrag bei Antalyaspor, danach schauen wir weiter.
Haben Sie noch keinen Gedanken ans Karriereende verschwendet?
Ich habe nach wie vor viel Spaß am Fußball und kann meine Leistung bringen. Ich finde, daran sollte man als Fußballer gemessen werden, und nicht am Alter. Warum sollte ich also schon aufhören?
Interview: Andreas Beez