„Alaba ist Bayerns wichtigster Spieler“

von Redaktion

Didi Hamann über Triple-Chancen, schlechte Vorbilder und seine Sané-Skepsis

München – Er war als Spieler ein Stratege. Als Experte ist er ein Querdenker: Didi Hamann verfolgt für den Sender Sky den Fußball – auch und erst recht in dieser besonderen Saison. Dabei rechnet er mit guten Chancen auf das Triple für seinen ehemaligen Arbeitgeber Bayern München. Der Titel in der Champions League (ab 7. August auf Sky) geht dieses Jahr nur über die Mannschaft von Trainer Hansi Flick, ist sich der Champions-League-Sieger von 2005 mit dem FC Liverpool sicher. Um den Fußball allgemein macht der 46-Jährige sich Sorgen.

Herr Hamann, wir befinden uns nun seit März in der Corona-Blase. Waren die Hoffnungen am Anfang auf einen geläuterten Profi-Fußball naiv?

Ich bin da schon Romantiker und hoffe, dass dies eine ehrlich geführte Diskussion war. Wir sollten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Es standen die Existenzen einiger Vereine auf dem Spiel. Wir haben jetzt noch die Chance, uns dem Fan wieder anzunähern.

Wie erklären Sie sich die Entfremdung?

Die explodierenden Gehälter und Ablösen sind für niemanden mehr nachvollziehbar. Durch die Skandale in UEFA und FIFA hat der Fußball zusätzlich viel Glaubwürdigkeit verloren. Ich bin überzeugt, dass man das wieder zurückgewinnen kann. Allerdings muss schnell gehandelt werden. Sonst sind wir bald wieder im Alltagstrott und verlieren das Ziel aus den Augen.

Wobei der Freispruch für Manchester City kein positives Signal sendet, oder?

Das war kein guter Tag für den Fußball. Ein fatales Zeichen. Mit dem Urteil ist das Financial Fairplay der UEFA gescheitert. Hier muss ein Instrument gefunden werden, das diese Methoden wie im Wilden Westen verhindert.

In Deutschland haben sich viele gewundert, warum ein Verein wie Schalke 04 vor dem Kollaps steht, nur weil eine TV-Rate ausbleibt. Sie auch?

Im ersten Moment schon. Dann habe ich mich jedoch an einen Spruch von Heribert Bruchhagen erinnert: „Als Manager ist dein Job, sportlich maximalen Erfolg zu haben und den finanziellen Bankrott zu vermeiden.“ Wäre Frank Baumann mit Werder Bremen abgestiegen, hätte niemand gesagt: Schade, aber wenigstens haben wir 40 Millionen auf der Seite. Der sportliche Erfolg diktiert das Handeln.

Also muss die Bundesliga manche Kröten schlucken, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

Die Bundesliga sollte nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen, sondern vor der eigenen Haustür kehren. Beim Konstrukt um RB Leipzig wurden gerade 100 Millionen Euro Schulden in Eigenkapital umgewandelt. Es gibt bei uns genug, was man hinterfragen kann. Nicht nur in England.

Wobei die Premier League schon Maßstäbe in Fan-Entfremdung setzt, oder?

Dort kann man sehen, wie das System krankt. In Deutschland sagt man zu einem Spieler, der viel Geld gekostet hat: Der muss erst mal beweisen, dass er das wert ist. Wenn du in England viel Geld kostest, heißt es: Der muss aber gut sein!

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Ich kenne kein Allheilmittel. Man wird nicht alles zurückdrehen können. Will ich auch nicht. Es muss doch aber einen Mittelweg geben zwischen völlig entfesseltem Kapitalismus und etwas Fußball-Romantik. Ein bisschen mehr Vernunft wäre schon mal ein guter Anfang.

Mehr Transparenz lautet eine weitere Forderung. Hätten Sie als Profi Probleme damit gehabt, wenn jeder ihr Gehalt einsehen hätte können?

Nein. Aber als Ex-Profi lässt sich das leicht sagen. Das Durchschnittsgehalt in den Vereinen kann ich ja heute schon nachschauen. Ich glaube eher, dass eine komplette Offenlegung, gerade in Deutschland, die Neid-Debatte befeuern würde. Das Problem sind nicht die Spitzengehälter von einem Ausnahmespieler wie Lewandowski. Sondern Millionengehälter von Durchschnittsspielern.

Der Fall David Alaba beim FC Bayern zeigt, wie man die aktuelle Lage unterschiedlich bewerten kann. Der Verein verweist auf die Krise, der Spieler auf seinen Marktwert. Wer spielt hier falsch?

Ich kann beide Motive nachvollziehen. Die Vereine erleiden erhebliche finanzielle Einbußen. Der Spieler versteht nicht, warum er auf Geld verzichten soll, nur weil er gerade jetzt einen Vertrag unterschreibt. Erst recht, wenn sich in sechs Monaten womöglich alles normalisiert hat. Alaba ist momentan wahrscheinlich der wichtigste Spieler der Mannschaft. Da sollte man sich schon genau überlegen, ob man so einen gehen lässt.

Kann man den FC Bayern schon als Profiteur der Krise sehen? Einen Leroy Sané hätte man sonst niemals für 50 Millionen Euro bekommen.

Das wird man sehen. Aufgrund der Situation können sie ja eben einen Alaba verlieren. Sané hätten sie allerdings wohl auch für 60, 70 oder 80 Millionen gekauft.

Warum?

Weil die Bayern sich sehr früh auf ihn festgelegt haben. Dadurch ist ein Druck entstanden, ihn zu präsentieren. Man stelle sich vor, er wäre nicht gekommen. Dann hätte es geheißen: Bayern bekommt keine Topleute mehr.

Stimmt hier das Preis-Leistungs-Verhältnis?

Abwarten. Sané ist ein Spieler, der ein Jahr nicht gespielt hat. Die letzten zwei Jahre war er bei ManCity unter Pep Guardiola kein Stammspieler. In den wichtigen Spielen hat er überhaupt keine Rolle gespielt. Wie zum Beispiel im Champions-League-Viertelfinale gegen Tottenham, in dem er in beiden Partien zusammen knapp über zehn Minuten gespielt hat. Da frage ich mich schon: Warum ist das so? Es sieht aus wie ein Schnäppchen – ich bin da vorsichtig.

Hat der FC Bayern einen Superstar verpflichtet oder einen Spieler mit Superstar-Potenzial?

Für mich klar die zweite Variante. Wenn er sich hundert Prozent auf den Fußball konzentriert, ist Sané eine Bereicherung. Nur: Guardiola hat das in vier Jahren nicht geschafft. Ein Mann, der als bester Trainer der Welt gilt. Und warum lässt Löw einen Stürmer, der mit einer Aktion ein Spiel entscheiden kann, für die WM in Russland zu Hause? Zudem habe ich große Zweifel, ob es für Sané überhaupt einen großen Markt gegeben hat und ob es einen anderen Verein gegeben hätte, der ihn für das Geld verpflichtet hätte. Trotzdem kann er bei Bayern den nächsten Schritt machen.

Unter welchen Voraussetzungen?

Bei Bayern trifft er mit Neuer-Boateng-Müller-Kimmich auf eine Achse, die Probleme intern klärt. Wenn du als neuer Spieler dort hinzukommst, hast du zu spuren.

Dass wir so über die Bayern reden, war vor gut einem halben Jahr kaum vorstellbar. Was ist der Hauptgrund für die wiedergefundene Stärke?

Hansi Flick hat es geschafft, dass alle an einem Strang ziehen. Bestes Beispiel ist Jerome Boateng. Letztes Jahr saß er bei der Meisterfeier apathisch auf der Werbebande. Jetzt bei der Schalenübergabe in Wolfsburg war er nur am Juxen mit seinen Mitspielern. Symptomatisch dafür, dass alle wieder das Gefühl haben, Teil des Ganzen zu sein.

Eine Integrationskraft, die Vorgänger Niko Kovac abgeht?

Er hat über weite Strecken in schwierigen Zeiten gute Arbeit geleistet. Ich bin weit davon entfernt, ihn als Alleinschuldigen zu nennen. Letztlich hat ihn dann seine fatale Fehleinschätzung zu Müller den Job gekostet.

Geht der FC Bayern als Favorit in den Champions-League-Endspurt?

Das Problem ist der Modus. In zwei Spielen wären sie kaum zu schlagen. In einem Spiel kann jedoch alles passieren. Sie sind aber das zu schlagende Team. Neben Manchester City.

Wirkt sich Pause vielleicht negativ aus?

Dachte ich auch. Weil sie aus dem Rhythmus gekommen sind. Und der Rhythmus geht im Leistungssport über alles. Auf der anderen Seite habe ich jetzt von Maurizio Sarri von Juventus Turin gelesen, dass seine Mannschaft körperlich und mental am Ende sei. Womöglich tut die Pause den Bayern gut.

Wäre das Corona-Triple 2020 gleichwertig mit dem von 2013?

Ein Triple ist der Ritterschlag, ob mit oder ohne Corona.

Sie standen für ihre Meinung über Robert Lewandowski in der Kritik. Wie stehen Sie heute zu ihm?

Als Stürmer war er schon immer Weltklasse, aber er hatte eine innere Unzufriedenheit in sich, die einer positiven Ausstrahlung gewichen ist. Jetzt ist er auch als Leader unersetzlich- Er hat maßgeblichen Anteil an der Entwicklung junger Spieler wie von Gnabry und Coman.

Ihre Stimme bei einer möglichen Weltfußballer-Wahl ginge an…

Robert Lewandowski.

Interview: Daniel Müksch

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