München – So richtig anstrengend wurde es für Christina Hering erst nach dem Rennen. Als sie auf ihr Siegerinterview fürs Fernsehen wartete, so erzählte die Münchnerin, „musste ich mich total zusammenreißen, um überhaupt noch stehen zu können“.
Während des Finales über 800 Meter war die 26-Jährige noch lockeren Schrittes unterwegs gewesen. Nach gewohnt energischem Finish sicherte sie sich in 2:01,62 Sekunden ihren insgesamt sechsten Meistertitel über ihre Spezialstrecke. Doch dann kam einiges zusammen für die Läuferin. Es fing mit einer leichten Rempelei auf der Schlussrunde an. Majtie Kolberg hatte überraschend auf der Innenbahn attackiert, es kam zu einer Berührung. „Es war keine Absicht“, sagte Hering, „Aber ich hatte totale Angst, dass ich einen Fehler gemacht hatte und dachte mir: Oh, mein Gott, hoffentlich werde ich nicht disqualifiziert.“ Die Bedenken waren nachhaltig. „Ich war im Ziel immer noch verwirrt und konnte mich gar nicht recht freuen.“
Immerhin versicherte ihr die Viertplatzierte Majtie Kolberg, dass sie keine Schuld am Malheur während des Rennens trage. Doch dann kam auch noch eine scheinbare Hiobsbotschaft. Jana Reinert, Teamkollegin von den Stadtwerken München, war nicht im Ziel aufgetaucht. Offenbar hatte sie sich verletzt. „Ich war schockiert“, sagte Hering. Zwar stellte sich heraus, dass die Blessur nicht so schlimm war wie zunächst befürchtet. Doch die Aufregung und die Hitze von 36 Grad setzten der Meisterin schließlich arg zu. „Die Belastung ist mir in den Kopf gestiegen. Das hat noch mehrere Stunden gedauert.“
Die Titelkämpfe im leeren Stadion von Braunschweig wird Hering dennoch in guter Erinnerung behalten. „Das waren besondere und schöne Meisterschaften“, sagte sie. Besonders waren die Wettkämpfe, weil sie unter Corona-Vorzeichen stattfanden. „Ich habe die leeren Ränge für mich ausgeblendet und einfach an die gedacht, die vor dem Fernseher mitfiebern“, erzählte Hering. Schön waren die Rennen, weil sie wieder einmal die Schnellste war. Es war ihr fünfter nationaler Titel in Folge. „Die Fünf ist schon irgendwie auch eine magische Zahl, die mich stolz macht.“ Über 800 Meter ist solch eine Serie in Deutschland einzigartig.
Christina Hering hat somit aus einem, wie sie sagt, „schwierigem Jahr“, das Beste gemacht. Die Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio, für die Hering bereits die Qualifikationsnorm hatte, sei zunächst zwar frustrierend gewesen. Auch weil es sich in starker Form fühlte. „Ich wusste, dass ich auf einem guten Weg war. Ich wäre sicher gut vorbereitet gewesen.“ Doch die Absage sei „alternativlos“ gewesen. Nun freue sie sich eben auf nächstes Jahr. „Ich glaube einfach fest daran, dass die Spiele 2021 stattfinden.“ Und mit der Heim-Europameisterschaft 2022 in München ist noch ein zweiter internationaler Höhepunkt in Sicht.
Der Vorsatz, dem Leistungssport noch mindestens zwei Jahre treu zu bleiben. hat auch mit den ersten Monaten des Lockdowns zu tun Obwohl es für dieses Jahr kein großes Ziel gab, habe sie keinerlei Motivationsprobleme verspürt. „Ich habe die Bewegung genossen. In der ersten Lockdownphase hatte man ja keine Alternativen, etwas anderes zu machen. Es war immer mein Tageshighlight, dass ich trainieren durfte.“ In dieser Zeit machte Christina Hering, die nebenher auch noch ihr Management-Studium abschloss, eine Erfahrung, die ihr entscheidenden Auftrieb gab. „Für mich hatte die Corona-Zeit auch eine gute Seite“, sagte sie, „ich habe gemerkt, dass meine große Begeisterung für den Sport immer noch da ist.“