München – Paris gegen Leipzig im Halbfinale der Champions League – was geht’s den FC Augsburg an? Nun, das Kellerkind der Bundesliga, für das PSG unerreichbar in einer anderen Welt lebt und das das RB-Konstrukt bei jeder Gelegenheit ätzend kritisiert, ist stolz auf diese Konstellation. Denn es treten als Trainer gegeneinander an: Thomas Tuchel (Paris) und Julian Nagelsmann (Leipzig). Beide waren sie in ihren jungen Jahren in Augsburg, hier begegneten sie sich als Nobodys in der sechsten Liga, und Tuchel, der am Anfang seines Trainerwirkens stand, entdeckte im Spieler Nagelsmann das Trainertalent. So wird es in der Tuchel-Biografie der Autoren Daniel Meuren und Tobias Schächter beschrieben. Nagelsmann erzählt ausführlich über die Beziehung.
2008. Die zweite Mannschaft des FC Augsburg spielt in der Landesliga, das ist weit entfernt vom großen Fußball. Aber der Club wittert mit seinen Profis, die der 2. Liga angehören, schon, dass mehr möglich ist. Tuchel, der Anfang der 90er-Jahre Jugendspieler beim FCA gewesen war (und zweimal Deutscher Pokalsieger), leitet das Nachwuchszentrum, kümmert sich um die A-Junioren und schließlich auch die „Zweite“. Einer ihrer Spieler: Julian Nagelsmann, 20 damals, Defensive zentral, aber gesundheitlich schwer gebeutelt. Tuchel, 14 Jahre älter, will ihn anders einsetzen, schickt ihn in die Nachbarstadt Gersthofen, von dort kommt der nächste Gegner, Nagelsmann soll ihn scouten. Nagelsmann nimmt seine Freundin mit, sie filmt, er macht sich handschriftlich Notizen. Zwei Tage lang zögert Nagelsmann, dem Chef seine Erkenntnisse zu präsentieren. Was er Tuchel dann erzählt, gefällt diesem – denn natürlich hat auch er sich über den TSV Gersthofen kundig gemacht. Der Ältere vertraut fortan dem Jüngeren, lässt ihn bis Saisonende scouten – und als der FC Augsburg II für Julian Nagelsmann, weil der nicht mehr kicken kann, keine Verwendung mehr hat, ermittelt Tuchel ihn als Co-Trainer zur U 17 des TSV 1860.
Nagelsmann resümiert: „Ich hatte das überhaupt nicht gespürt in mir, ich hatte nie im Sinn, Trainer zu werden. Ich habe mich aber sehr gefreut, dass Thomas mich so sieht. Als dann absehbar war, dass meine Spielerkarriere tatsächlich nicht mehr die Früchte tragen wird wie erhofft und ich BWL studierte, habe ich mich dafür entschieden, Trainer zu werden.“
Tuchel arbeitet gut drei Jahre in Augsburg (2005 bis 08). In seiner zweiten Saison absolviert er den Fußballlehrer-Lehrgang in Hennef im Westen Deutschlands und betreibt auch noch eine Fußballschule. Er wohnt in München, pendelt mit dem Zug nach Augsburg, weil sein altes Auto mit 600 000 Kilometer auf dem Tacho den Geist aufgegeben hat. Ein neues ist nicht drin, Zu Spielbeobachtungen in schwer erreichbare Orte fährt ihn seine Lebensgefährtin. Auch Julian Nagelsmann hat in dieser Zeit seinen Wohnsitz in München und fährt Zug – oft, so erzählt er, schlief er dann ein, weil Tuchels Training für den Kopf so anstrengend gewesen war.
Tuchel entwickelt den Ruf, ein schwieriger Zeitgenosse zu ein. Nagelsmann dazu: „Ich und meine Frau sind immer super mit ihm klargekommen. Er hat sich oft mit meinen Eltern unterhalten, war immer sehr freundlich. Es war auffällig, dass er da einen Bezug herstellen wollte. Ich hatte menschlich nie ein Problem mit ihm.“
Dennoch geht jeder nach den gemeinsamen Tagen in Augsburg seinen Weg, der Kontakt reißt für einige Jahre ab. Als Nagelsmann in Hoffenheim als U 19-Coach Coach anheuert (2013), besucht er das nahe Mainz, wo Tuchel schon zu einem bekannten Bundesligatrainer geworden ist. Nagelsmann war sich unsicher, wie der einstige Lehrmeister auf ihn reagieren würde. Jedoch; „Das Wiedersehen verlief herzlich und vertraut. Thomas wirkte deutlich älter, nicht mehr so studentisch. Er hat auf dem Platz zwar noch rumgeplärrt, aber trotzdem hatte ich den Eindruck, er sei ruhiger geworden.“
Als Cheftrainer in der Bundesliga begegneten sie sich erst dreimal, mit Hoffenheim (Nagelsmann) und Dortmund (Tuchel). Bilanz: zwei Tuchel-Siege und ein Unentschieden. Sie nahmen sich vor den Partien und danach jeweils in den Arm.