Bayern vor letztem Schritt

Flicks Werk bleibt – egal, was passiert

von Redaktion

HANNA RAIF

Dass einem in einer lauen Sommernacht in Lissabon kalt wird, ist vielleicht etwas außergewöhnlich. Aber so hat Hansi Flick diesem Champions-League-Halbfinale zumindest noch eine schöne Randgeschichte beschert. Weil der Bayern-Coach selbst keine Jacke greifbar hatte, verfolgte er die letzten Züge des Spiels gegen Lyon in der Klamotte mit den Initialen „HG“. Einmal kurz Hermann Gerland sein, ein Mann in der zweiten Reihe. Und nicht „HF“, Hansi Flick, der Wunder-Trainer, auf den spätestens seit dem Turnier in Lissabon ganz Europa blickt.

Man hat Pep Guardiola gehabt, Carlo Ancelotti, Niko Kovac – aber derjenige, der mit dem wenigsten Bohei ins Amt kam, beeindruckt die Branche am meisten. Schwer sei es, hieß es etwa aus England, „für diese Mannschaft neue Superlative zu finden“, die Münchner seien „aus so vielen Perspektiven nahezu perfekt“. Man darf zu Recht sagen, dass sich diese Bayern diesen Titel nach dieser Saison mit diesem Trainer verdient haben. Und sollte trotzdem nicht genau jetzt den Fehler machen, dem Lob aus allen Ländern zu viel Beachtung zu schenken.

Der Henkelpott ist nah, sehr nahe. Der letzte Schritt allerdings – der finale Sieg dieser dann perfekten Champions-League-Saison – muss noch gegangen werden. Das beste Beispiel dafür, dass Vergangenes nicht zählt, hat die Partie gegen Lyon gegeben. Das 8:2 gegen Barcelona am Freitag war berauschend, das 3:0 gegen die Franzosen hingegen ein hartes Stück Arbeit. Es hat gezeigt, dass zu großen Titeln mehr gehört als Qualität und Teamgeist. Wer die Königsklasse gewinnen will, braucht gute Nerven, Biss und auch mal Glück. Lyon hat die Nachlässigkeiten in der Bayern-Abwehr nicht bestrafen können, Paris aber wird sich nicht zwei Mal bitten lassen.

Flick und sein Team haben schon viel erreicht in dieser Saison; deutlich mehr, als ihnen selbst die kühnsten Optimisten im Herbst, als Kovac den Posten räumte, zugetraut hätten. Diese Leistung bleibt bestehen, egal was am Sonntag passiert. Freilich wünscht man diesem bodenständigen Mann in dieser abgehobenen Branche die Krönung. Aber selbst, wenn es nicht klappt, haben er und die Bayern allen Grund, positiv in die Zukunft zu blicken. Eigentlich ist Flick ja erst am Anfang seines Wirkens, das darf man nicht vergessen. Obwohl es sich anfühlt, als stehe er schon ewig im Rampenlicht: Die rote Jacke mit dem Aufdruck „HF“ gibt es erst seit einem Jahr.

Hanna.Raif@ovb.net

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