München – Alex Megos hat mal wieder Klettergeschichte geschrieben. Dem Ausnahmesportler gelang die Erstbegehung der Route Bibliographie in Céüse in den französischen Alpen. Der 27-Jährige kletterte über drei Jahre verteilt insgesamt 60 Tage an dem 35 Meter langen, überhängenden Felsabschnitt. Die Felsroute wird mit dem Schwierigkeitsgrad 9c bewertet. Megos ist nach Adam Ondra erst der zweite Mensch, der diesen Grad bezwingt. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der Erlanger über das gelungene Projekt, Angst am Felsen und seine Pläne für die Olympischen Spiele.
Alex Megos, was ging Ihnen nach der erfolgreichen Besteigung von Bibliographie durch den Kopf?
Es war eine massive Erleichterung. In dem Moment wusste ich, dass sich die drei Jahre harte Arbeit ausgezahlt haben. Bei solchen Projekten, die am Limit sind, weiß man ja nie, ob man es auch wirklich schafft. Man weiß nur, dass man es theoretisch klettern könnte. Irgendwann fängt dann auch das Zweifeln an. Es war krass, als ich es dann wirklich gepackt habe.
Wie behält man über drei Jahre die Motivation für ein solches Projekt?
Das ist manchmal gar nicht so leicht. Man braucht zwischendurch immer wieder gute Tage, an denen man Fortschritte sehen kann. Wenn es mal zwei Wochen nicht gut läuft, ist es schwierig, die Motivation aufrechtzuerhalten. Der Schlüssel war, dass ich nie länger als zwei Wochen vor Ort war. Zu Hause konnte ich mich dann immer wieder neu fokussieren und im Training noch stärker werden.
Ist es für den Körper einfacher, wenn er dieselbe Route wieder und wieder klettert?
Der Körper gewöhnt sich irgendwann an die Route. Die Züge werden automatisiert und die Bewegungen perfektioniert. Bei einer Route mit einem solchen Schwierigkeitsgrad, muss jeder Griff perfekt sitzen. Ich hatte die verschiedenen Bewegungen ständig im Kopf und mir nach den Versuchen aufgeschrieben, in welchen Abschnitten ich mich wie verbessern kann.
Haben Sie keine Angst, wenn Sie in schwindelerregender Höhe am Felsen hängen?
Im Moment des Kletterns musst du komplett bei der Sache sein. Ich bin da auf die Route fokussiert, versuche einen Flow zu erreichen. Angst spielt bei mir keine Rolle.
Mussten Sie die Angst mal überwinden?
Ich kann mich nicht erinnern, jemals Angst gehabt zu haben. Ich habe als Sechsjähriger mit dem Klettern angefangen, war es also schon früh gewohnt und fand es immer aufregend. Angst kommt bei Leuten auf, die irrational denken in der Höhe oder kein Vertrauen in ihr Equipment haben. Ich weiß, dass ich abgesichert bin und nicht fallen kann. Daher kann ich mich voll auf das Projekt konzentrieren.
Die Route wird mit dem Schwierigkeitsgrad 9c bewertet. Sie sind erst der zweite Kletterer, der diese Hürde bezwingt.
Das ist ein besonderes Gefühl. Man steckt drei Jahre so viel harte Arbeit in das Projekt und bezwingt am Ende einen Schwierigkeitsgrad, der vorher nur von einem anderen geklettert wurde. Das ist der Wahnsinn und die Belohnung dafür, dass man auch nach Fehlschlägen nie aufgegeben hat, sondern immer neue Anläufe genommen hat.
Sie waren eigentlich schon in der Vorbereitung auf Olympia, trainierten in der Halle.
Der Wechsel von der Halle zurück an den Felsen fällt mir natürlich nie schwer. Ich bin ein geborener Felskletterer, ich habe mich brutal drauf gefreut wieder draußen klettern zu können. Ich werde dann eher wieder Motivation brauchen, wenn es zurück in die Halle geht.
Gibt es schon einen Plan, wann der Fokus wieder auf die Olympischen Spiele gerichtet wird?
Es gibt aktuell noch keinen Plan, wann ich mit der Vorbereitung für Olympia beginne. Ich genieße momentan noch das Klettern am Felsen, werde es nach meinem letzten kräfteraubenden Projekt aber erst mal ruhiger angehen lassen. Ich habe bereits neue Projekte im Auge, beispielsweise eine Route in den USA, aber da muss man natürlich abwarten, wie es sich mit Corona entwickelt.
Interview: Nico-Marius Schmitz