Markus Schroths größtes Solo

von Redaktion

Der frühere 1860-Fußballprofi ist jetzt Ultrabergläufer – gerade schaffte er 122 km im Karwendel

VON GÜNTER KLEIN

Es ist Donnerstagmorgen, kurz nach 8 Uhr, und Markus Schroth, für den Fußball früher das Leben war, weiß gar nicht, was sonst jeder in Deutschland weiß: Wie am Abend zuvor die Bayern in der Champions League gegen Lyon gespielt haben. Aber klar: Er war oben am Berg, „der Fernseher“, sagt er lächelnd, „hat da nicht funktioniert“. Und er hatte sein eigenes Programm: „Ich habe mich hingesetzt, meine Stirnlampe ausgeschaltet und die Silhouette der Berge im Sternenlicht angeschaut. Traumhaft.“

Markus Schroth, heute 45, bekannt geworden als Bundesligastürmer und Torjäger (Karlsruher SC, 1860 München, 1. FC Nürnberg), später noch Co-Trainer bei den Löwen und für sie im Marketing tätig, hat diese Woche Gewaltiges vollbracht. Losgelaufen ist er in Mittenwald am Mittwoch um 10.33 Uhr, wieder dort angekommen am Donnerstag um 17.46 Uhr. Seine GPS-Uhr zeigt an, dass er 122 Kilometer zurückgelegt und dabei 8000 Höhenmeter bewältigt hat. 8000 positive (bergauf), 8000 negative (bergab) – so nennt man es in der Sprache des Trailrunnings.

Markus Schroth hat diesen Sport entdeckt, als er vor ein paar Jahren in Chamonix Urlaub machte und dort gerade der UTMB, der Lauf ums Montblanc-Massiv, stattfand – 170 Kilometer. Der Spirit der Szene erfasste ihn: Menschen, die ihre Grenzen austesten, ohne dass es dafür einen finanziellen Antrieb gäbe. Viele der Teilnehmer schlafen in ihren Autos oder kommen in Campern. 2017 und 19 war er schließlich selbst dabei und um die 42 Stunden unterwegs, man läuft zwei Nächte durch. Für ihn war es ein Comeback als Sportler, nachdem er seine Fußballkarriere nach einer Infektion im Knie und mehreren Operationen hatte beenden müssen.

Auch 2021 wollte Schroth für ein, zwei große Läufe melden. Doch dann kam Corona, und nahezu alles wurde abgesagt. Ein Wüstenlauf in Oman erschien einige Zeit als Option – doch würde man überhaupt reisen können? So entwickelten Markus Schroth und seine Frau Petra einen alternativen Plan: Wenn es keinen Trailrun gibt, dann machen wir eben einen. „Eigeninitiative zeigen, die Dinge in die Hand nehmen, was erschaffen“, sagt Markus. Man hat es in ein Motto gegossen: „Ich bin die Kraft.“ So steht es auf den T-Shirts, die sie tragen, und auf dem Start- und-Zielbanner, das sie aufstellen.

Auch wenn Markus die Strecke solo läuft, agieren die Schroths als Team: Petra sorgt sich um die Logistik, fährt mit dem Camper die zugänglichen Stellen des Kurses an, kümmert sich um Verpflegung. Markus’ 12-Liter-Rucksack, mit dem er läuft, ist proppenvoll. Bevor es für ihn in die Nacht geht, bekommt er noch etwas Warmes zu essen. Petra sitzt die halbe Nacht im Auto, fährt ums Karwendel herum, an den Mautstellen der Bergstraßen sitzt da schon gar niemand mehr. „Ohne Petra wäre das Projekt nicht möglich gewesen“, sagt er, „schließlich kann ich nachts auf keine Hütte gehen, Die sind dann zu.“ Er muss aber ständig Energie nachlegen, darauf achten, dass er eine Reserve an Flüssigkeit hat. Bei einem regulären Lauf kann man sich auf den Veranstalter verlassen und darauf, dass immer wieder eine Verpflegungsstelle kommt. Nun ist er auf sich alleine gestellt.

Zweieinhalb Monate haben sie Vorbereitungszeit investiert. Sie kannten Teile des Karwendels, weil Markus Schroth sich hier auf den Mont-Blanc-Lauf vorbereitet hatte letztes Jahr. Er puzzelte eine Strecke zusammen. Auf deutscher und (überwiegend) österreichischer Seite.

Als Fußballprofi hatte Markus Schroth Flutlichtspiele, das waren die feierlichen Momente. Beim Berglaufen trägt er eine Stirnlampe, deren Kegel die Dunkelheit durchschneidet und die nächsten Meter ausleuchtet. Nachts alleine in alpinem Gelände unterwegs zu sein, wenn möglich im Laufschritt – man kann sich vorstellen, dass das Gefahren birgt. Schroth sagt: „Ich war überrascht, wie klar ich mich orientieren konnte.“ Weil er die Strecke vorab studiert hatte und es eben seine war, musste er gar nicht nach Markierungen Ausschau halten, wie das bei einem organisierten Trail der Fall gewesen wäre.

Im Morgendunst nimmt er in der Ferne eine andere Stirnlampe wahr, doch er ist für Stunden völlig alleine. Auch das Kamerateam des Bayerischen Fernsehens, das unter Leitung von Ski- und Fußballkommentator Bernd Schmelzer einen Beitrag dreht, der im legendären Bergsteigermagazin „Bergauf-Bergab“ laufen wird (Sendetermin noch offen), hält nun die arbeitsrechtlich vorgeschriebene Nachtruhe und ist ab dem nächsten Morgen wieder auf den E-Mountainbikes dabei. Schroth filmt selbst, wie die Sonne aufgeht, man hat ihm eine GoPro mitgegeben.

Die Uhr läuft weiter, aber das ist nicht so wichtig beim Trailrunning. Auch nicht bei den Wettbewerben. Zwar nicht an der Leistungsspitze, aber im Feld wird auch mal innegehalten. Man verbindet sich mit der Natur. Markus Schroth sagt, er sei beim Laufen in den Bergen mit dem Hier und Jetzt befasst, mit nichts anderem.

Er hat die Strecke im Griff. Nach vier Stunden sagt er cool: „Ist ja noch nicht viel passiert.“ Manche Passage läuft er ein zweites Mal – für das bessere Bild später im Film. Am Donnerstagmorgen nach 80 km wirkt er gelöst und nicht wie ein Mensch, der unleidlich wäre, weil er nicht schlafen durfte. Am letzten kurzen Stopp am Nachmittag im österreichischen Grenzort Scharnitz meint er bei 28 Grad: „Bis Mittag hat es oben leicht genieselt. Dachte nicht, dass es so warm wird.“

Sein bislang forderndster Lauf war der „Tor de Geants“. 330 Kilometer lang, rund ums Aostatal. 23 000 Höhenmeter, 136 Stunden am Stück, er schlief nur viereinhalb Stunden. Nun, im Ziel in Mittenwald, sagt er, die Beine seien ein wenig müde, aber es tue nichts weh. Er steht kerzengerade. Er ist glücklich. Die Schroths umarmen sich.

Nach einem Wettkampf löst sich immer alles schnell auf, fluchtartig verlassen die Teilnehmer den Veranstaltungsort. Markus Schroth hat es immer anders gehandhabt. Nach dem UTMB ist er eine Woche in Chamonix geblieben, um das Geschehene zu verarbeiten, auch im Karwendel hängen er und Petra ein paar Tage an. Um zu genießen, was vollbracht worden ist.

Markus Schroth ist kein Fußballer mehr, er muss nicht immer gleich weiter.

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