Abschied vom großen Traum

von Redaktion

TOUR DE FRANCE Podium als Ziel für Buchmann? „Das wäre Irrsinn“, sagt Teammanager Denk

VON ARMIN GIBIS

München – Ralph Denk hat sich vorgenommen, möglichst positiv zu denken. „Das Schlechteste wäre, jetzt den Kopf hängen und miese Laune aufkommen zu lassen“, sagt der Manager des Radteams Bora-hansgrohe. Seine aktuelle Devise lautet: „Wir freuen uns, dass die Tour de France trotz der schwierigen Umstände überhaupt stattfindet.“ Ansonsten aber hat es zuletzt nicht allzu viel Grund gegeben für die Raublinger Equipe, der morgen in Nizza startenden Fahrt durch Frankreich sonderlich hochgestimmt entgegenzusehen. Das lässt auch Denk in seiner Bestandsaufnahme relativ deutlich anklingen: „Wir versuchen aus einer Situation, die wir uns nicht gewünscht haben, das Beste zu machen.“

Diese Situation, die vorwiegend unerfreulich ist, hat vor allem mit der jüngsten Unfallbilanz von Bora-hansgrohe zu tun. Bei der Tour-Generalprobe Dauphiné Liberé stürzten Kapitän Emanuel Buchmann und sein wichtiger Helfer Gregor Mühlberger. Am gleichen Tag brach sich Max Schachmann in Italien das Schlüsselbein. Damit erlitten die ehrgeizigen Tour-Pläne mehr als nur einen Dämpfer. Denk meint in Bezug auf Buchmann: „Wir wollten aufs Podium fahren – an diesem Ziel festzuhalten, wäre Irrsinn.“

Dabei hatte bis vor zwei Wochen noch alles so prächtig ausgesehen. Buchmann, Tour-Vierter 2019, präsentierte sich in Topform. „Er war noch stärker als letztes Jahr“, sagt Denk. Doch dann kam der Crash auf einer Abfahrt, ein enormes Hämatom im Beckenbereich und Hautabschürfungen setzten den 27-Jährigen einige Tage außer Gefecht. „Die Verletzungen haben Regenerationszeit gekostet, auch das Training hat nicht richtig funktioniert. Das ist alles andere als optimal vor dem größten Radrennen der Welt“, betont Denk.

Buchmanns Trainingsumfänge seien zuletzt sogar geringer gewesen als die des Leidensgefährten Schachmann. Und das will etwas heißen. Der Berliner, der bei dieser Tour Buchmann in hochalpinen Gefilden Unterstützung leisten sollte, ist aufgrund seines Schlüsselbeinbruchs ebenfalls erheblich gehandicapt. „Er hat Schwierigkeiten, auch nur eine Flasche anzunehmen oder eine Regenjacke überzustreifen“, erzählt Denk.

Dennoch entschlossen sich Buchmann, Schachmann und der am Handgelenk verletzte Mühlberger, die Tour in Angriff zu nehmen. „Wir haben das lange diskutiert. Schlussendlich haben alle drei gesagt: ,Wir wollen fahren“, berichtet Denk. Die aus der Not geborene Strategie lautet nun: „Wir schauen von Tag zu Tag.“ Wobei schon die zweite Etappe wichtige Aufschlüsse geben könnte über die Tour-Tauglichkeit von Buchmann. Am Sonntag geht es in die Alpen. „Das ist schon sehr anspruchsvoll. Wenn Emanuel da nicht mit den Besten mithalten kann, was durchaus möglich ist, dann werden wir uns fortan auf Etappensiege und das Grüne Trikot konzentrieren. Und wenn es gar nicht geht: Mein Gott, dann ist es eben höhere Gewalt“, sagt Denk. Immerhin hat er ja mit Peter Sagan den Favoriten für das Grüne Trikot in seinem Aufgebot. Den Sieg in der Punktewertung, so der Teammanager, „haben wir als ein mit einer Podiumsplatzierung gleichwertiges Ziel ausgegeben“.

Es gibt aber noch einen Grund, weswegen Denk dieser Tour mit gemischten Gefühlen entgegensieht. Zu Wochenbeginn wurde in der Bretagne einer seiner Fahrer positiv auf Covid-19 getestet. Das Bora-Team konnte somit nicht starten. Eine von Denk veranlasste zweite Untersuchung ergab jedoch, dass das erste Ergebnis falsch und der Bora-Profi als negativ einzustufen war. „Es ist das eingetreten, was ich befürchtet habe. Ich habe nicht nur Bauchschmerzen, bei mir geht es inzwischen in Richtung Magengeschwür“, sagt Denk. Der Grund: Bei der Tour wird jeder Fahrer und jeder Betreuer (bei Bora sind es 22) viermal auf Corona getestet – aber jemals ohne B-Probe. Ein Team mit zwei positiven Test müsste sich vorzeitig verabschieden. Dabei gilt das medizinische Verfahren als nicht hundertprozentig sicher.

Denk erklärt: „Wir sprechen vom weltgrößten Sportereignis in diesem Jahr. Und dann verlässt man sich auf Tests ohne Gegenprobe.“ Die möglichen Folgen skizziert er so: „Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass es sich es sich um einen falsch-positiven Test handelte, würde für das betroffene Team gewaltiger Schaden entstehen. Ich hoffe nur, dass es nicht so weit kommt.“

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