„Du musst ihnen den Sport wegnehmen“

von Redaktion

Neu-Bayer Wade Baldwin über Rassismus in seiner Heimat USA und die Rolle der US-Profiligen

München – In den letzten Tagen war der Sport in Übersee in Aufruhr. Die US-Profiligen stellten den Betrieb ein – aus Protest gegen die Schüsse auf Jacob Blake in Wisconsin. Ein gutes Signal, wie Wade Baldwin, amerikanischer Neuzugang der Basketballer des FC Bayern, findet. Doch dem 24-Jährigen geht das Signal noch nicht weit genug, wie er im Interview mit unserer Zeitung erklärte.

In den letzten Tagen sagte NBA-Superstar LeBron James, man müsse als Schwarzer Angst haben in Amerika. Haben Sie Angst in ihrem Land?

Ich glaube, man muss vor allem extrem wachsam sein, vor allem in den weniger begünstigten Vierteln. Es gibt eine Art Erwartung an Schwarze, sich besser verhalten zu müssen in Situationen mit der Polizei – anders als andere Rassen – um fair behandelt zu werden. Das ist allerdings nicht neu, so war das schon lange vor mir und vor meinen Eltern und meinen Großeltern.

Nur die Erscheinungsform hat sich verändert.

Ja, aber was zählt, ist: Rassismus gibt es im ganzen Land. Es gab Beispiele von NBA-Spielern, die durch solche Situationen gehen mussten. Ich hatte einen Teamkollegen, Mo Harkless, der gerade erzählt hat, was ihm bei den Portland Trail Blazers passiert ist: Auf dem Weg zu einem Spiel ist er von einem Polizisten gestoppt worden. Man hat ihm nicht gesagt, warum. Es endete glücklicherweise mit: „Mo, hab ein gutes Spiel“. Aber es gab keine Erklärung. Man kann es sich leicht vorstellen: Er ist aufgehalten worden, weil er schwarz ist und zwei weitere Schwarze in seinem Auto waren. Hieße er John Adams und wäre komplett unbekannt, dann wäre das Ergebnis wohl ein anderes gewesen. Diese Diskriminierung muss aufhören. Es muss endlich aufhören, dass solche Schüsse fallen. Dass jeder Waffen hat, macht es natürlich nicht leichter. Ich habe keine und werde nie eine haben, aber es gibt Menschen, für die ist das essenziell.

In diesen Tagen beschäftigt sich der Sport stark mit diesem Thema. Nicht zuletzt die NBA boykottierte ihre Playoffspiele. Das richtige Signal?

Der Boykott war auf jeden Fall ein Schritt. Auch wenn ich enttäuscht bin, dass das Ganze nicht einmal 24 Stunden gedauert hat (Playoffs werden am Samstag fortgesetzt, Anm. d. Red.). Man spricht ja immer von Symbolen. Aber wenn du hingehen würdest und die NHL, die MLS, die NFL und die NBA – also den größten Sport in Amerika – wegnehmen würdest, dann würde das wirklich etwas bewirken. Vielleicht täusche ich mich, aber wenn du den ganzen Sport dichtmachst, kein Spieler spielt, bis die soziale Ungerechtigkeit eine Gerechtigkeit wird; wenn du eine ganze Medien- und Unterhaltungsbranche wegnimmst, DAS wäre ein gewaltiges Signal. Sie müssten ganz aufhören zu spielen. Und wäre es das wert? Ich finde schon. Sonst hört es nicht auf. Wie gesagt, der Boykott der Milwaukee Bucks und der Orlando Magic war gut, aber nach so kurzer Zeit wird das ganz schnell beiseitegewischt.

Zum Beispiel durch ihren Präsidenten. Donald Trump bezeichnete die NBA als „politisch“ und die Proteste als „dumm“.

Das ist genau mein Problem mit Trump. Er sagt immer die falschen Sachen. Wenn er nach der NBA und „Black Lives Matter“ und den Protesten gefragt wird, dann ist seine erste Antwort: ‘Die Quoten sind schlecht’. Er sagt nichts offen Rassistisches. Aber er windet sich um die Fragen. Er hat sich noch nie offen hinter „Black Lives Matter“ gestellt. Von einem Anführer einer Nation, der führen und die Leute beschützen soll, erwarte ich etwas anderes. Etwas anderes als „die Quoten sind schlecht“.

Wie erklären Sie sich seine Verweigerung?

Ich denke, er sagt sich: ,Wir sind Amerika, wir sind die beste Nation, wir haben die beste Regierung, die besten Universitäten, die besten Mediziner – alles ist am besten.’ Das hat für Trump weit mehr Priorität als soziale Ungerechtigkeit.

Vor vier Jahren bugsierte sich Football-Profi Colin Kaepernick durch seine Anti-Rassismus-Proteste selbst ins Abseits. Sport sei nicht die Bühne für Politik war die harmloseste Kritik. Heute ist der Sport in der ersten Reihe. Was ist anders?

Man muss es so sehen: Amerika ist ein verrücktes Land, wenn es an Wahlen geht. Interessanter Zufall: 2016 kniet Kaepernick nieder, es wird ein riesiges Thema im Vorfeld der Wahlen. Jetzt greifen die Medien dieses Thema auf. Genau zu dieser Zeit. Was wichtig ist, damit diese Leute nach den Wahlen auch die richtigen Maßnahmen ergreifen. Und sich eben nicht um Themen herumwinden wie Trump. Das gehört auch zu einer Nation, die den Anspruch hat, besser zu sein als andere.

Sie können zumindest ein bisschen vergleichen. Sie spielen seit dem Vorjahr in Europa.

Das ist nicht viel Zeit und ich habe noch kein wirkliches Bild. Aber ich habe den Eindruck, dass Deutsche oder Italiener eine gewisse Einigkeit haben. Vor allem in Krisenmomenten. Wie jetzt in der Pandemie. Das Virus war wie ein Test. Und er zeigte: Wir in den USA hatten in Coronazeiten keinerlei Einigkeit. Null. Natürlich ist das schwer, weil es so viele Nationalitäten, Religionen und Rassen im Land gibt. Aber was ist, wenn etwas wirklich Unkontrollierbares passiert? Das Virus ist schlimm, aber es könnte noch schlimmer sein: ein Erdbeben, drei gewaltige Hurrikans, die über das Land fegen. Würden wir zusammenrücken, um uns gegenseitig zu helfen? Wir haben das gegen das Virus nicht getan. Und da sind wir wieder beim Thema: Es gibt keine Gleichheit. Und das muss aufhören. Genau deshalb fände ich ein totales Aus im US-Sport so wichtig. Da geht es natürlich nicht um LeBron, auch wenn er ein echter Anführer und unser Sprecher ist, wie er besser nicht sein könnte. Da geht es um viele Menschen, die in den Organisationen arbeiten. Aber ich denke, für alle wäre es das Opfer und das Risiko wert. Es muss jetzt passieren, nicht in zehn Jahren. Wir sind nicht mehr in den 50ern, nicht mehr in den 60ern – wir sind in 2020!

Wie ist es Ihnen selbst ergangen? Waren Sie jemals mit Rassismus konfrontiert?

Nein, nie. Ich bin in meinem Leben vielleicht fünfmal aufgehalten worden. Aber gut für mich: Meine Mutter ist eine FBI-Agentin, mein Vater ein DEA-Agent. Ich hatte also immer eine Marke, die ich zeigen konnte: Agentensohn. So gesehen kann ich nicht von dem Gefühl in so einer Situation sprechen. Aber ich kann sie nachvollziehen. Und: Mein Vater ist schwarz. Auch mit ihm habe ich darüber gesprochen, wie man sich bei einer Kontrolle verhalten sollte. Fenster runter, Papiere schon in den Händen, Hände sichtbar am Lenkrad, nicht nach unten greifen, alles befolgen, was der Beamte sagt … ich hatte weiße Freunde zu Hause, die hatten solche Gespräche nie.

Haben Sie in Europa entsprechende Erfahrungen gesammelt?

Klar, als Kind in der Schule bin ich schon manchmal „Nigger“ genannt worden. Aber das ist etwas anderes. Als Kind verstehst du nicht, was Rassismus ist. Das ist das Lustige: Das erste Mal, dass ich in voller Bösartigkeit „Nigger“ genannt worden bin, war im vergangenen Jahr in Berlin. Ich bin eine Straße entlanggelaufen. Da kam ein weißer Typ, Tattoos an den Armen und sagte: ‘F… you, Nigger!“ Das hätte ich nie für möglich gehalten. Bitter, dass es dieses Denken gibt. Wir sind nicht mehr in den 50ern oder 60ern. Wir sind in 2020. Es wird Zeit, etwas zu ändern.

Aber kann man Charaktere ändern?

Vielleicht kann man das nicht. Aber jeder Schritt in die richtige Richtung ist ein wichtiger Schritt.

Interview: Patrick Reichelt

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