Ein Mini-Robben für die Blauen

von Redaktion

Erik Tallig eifert dem früheren Bayern-Star nach – und ist bei 1860 schon bestens integriert

VON ULI KELLNER

Windischgarsten -– Ein Blick über die Schulter, auf den Großen Priel am Horizont, die markanten Nachbarberge und den idyllischen Talkessel von Windischgarsten. Erik Tallig kann der Abendkulisse auf der Hotelterrasse viel abgewinnen, denn seine bisherige Welt sah ganz anders aus. „An einen so schönen Ort ins Trainingslager zu fahren, ist etwas Besonderes“, sagt der gebürtige Sachse: „In Chemnitz gab es so etwas nicht. Da sind wir im Sommer immer nach Polen und im Winter in die Türkei. Mit meinen Eltern war ich schon öfter in den Bergen, zum Wandern nach Südtirol. Das gefällt mir schon gut.“

Künftig kommt Tallig häufiger in den Genuss alpenländischer Panoramen, wie sich überhaupt einiges ändern wird in seinem Leben: Millionenstadt statt sächsische Heimat, aufgeregter Kultverein statt Drittligaabsteiger CFC – zudem wohnt er nun zum ersten Mal alleine, nicht mal eine Freundin, ein Haustier oder ein WG-Partner zieht in seine Wohnung in Oberhaching mit ein. „Für meine Eltern war es ein schwerer Schritt, dass ich gehe. Ich wollte aber mal etwas anderes sehen“, sagt der 20-Jährige, der bislang als einziger externer Zugang den Kader von Michael Köllner verstärkt.

Nach Darstellung von 1860-Sportchef Günther Gorenzel („Erik war gefühlt bei allen Vereinen der 3. Liga Thema“) grenzt es an ein Wunder, dass Tallig in München gelandet ist. Vor allem, weil die erste Kontaktaufnahme laut Tallig erst zwei, drei Wochen vor dem Trainingsstart erfolgte. „Es gab schon einige andere Angebote“, sagt der Blondschopf und gewährt Einblick in seine Entscheidungskriterien: „In der 3. Liga ist Sechzig der größte Verein. Ich habe mir auch kein anderes Gespräch mehr angehört. Bloß noch aus der 2. Liga. Aber das hat mir nicht ganz so zugesagt. Ich habe mir gedacht: Ich bin noch ein junger Spieler und brauche Spielzeit.“

Dass Köllner auf den Linksfuß baut, war in den ersten beiden Testspielen zu sehen, als der Chemnitzer jeweils in der Startelf stand und das Vertrauen mit einem direkt verwandelten Freistoß (beim 4:1 gegen Regensburg) zurückzahlte. Der Vorschusslorbeer des Trainers ist enorm: „Bei einem Transfer muss ich mir 100 Prozent sicher sein“, betonte Köllner: „Bei Tallig war ich mir 100 Prozent sicher. Der Charakter ist unser Trumpf.“ Umgekehrt beteuert auch Tallig, dass Köllner ein wichtiger Grund für ihn gewesen sei, den Sprung zu 1860 zu wagen. „Der Trainer hat eine große Rolle gespielt, weil er junge Spieler weiterentwickeln möchte.“ Hinzu kamen als weiche Faktoren: „Der Traditionsverein, die Fans, das Stadion, die Weltstadt München.“

Im Grünwalder Stadion, im letzten Heimspiel der Löwen vor Fans (29. Februar), hatte Tallig einen Auftritt, der wie eine Bewerbung war: Präziser Linksschuss zur Chemnitzer 2:0-Führung (Endstand: 4:3 für 1860). „Ich denke schon, dass ich einen guten linken Fuß habe“, sagt Tallig: „Ich schließe gerne mal aus der Distanz ab. Das ist schon eine Stärke von mir.“ 1860 darf sich freuen. Mindestens zehn Tore hat sich der Mittelfeldrenner vorgenommen (nach sechs für Chemnitz). Nur die Frage nach seinem Idol werden die tiefblauen Fans nicht so gerne hören. „Früher war das Arjen Robben. Wie er in die Mitte zieht und immer ins lange Eck schießt – das war schon ein Vorbild.“

Ansprüche leiten sich daraus aber keine ab, wie Tallig beteuert: „Ich spiele da, wo der Trainer mich aufstellt. Ich kann auf der Sechs spielen, auf der Acht, der Zehn. Ich hab auch schon Stürmer gespielt.“ Anfangs gab es ja Gerüchte, dass sich Tallig die Rückennummer 10 von Timo Gebhart geschnappt hätte, doch der Neue winkt ab: „Ich weiß nicht, wie es dazu kam. Wenn man als junger Spieler gleich die 10 nimmt, ist das eher unvorteilhaft. Die 8 war frei, die hat mir der Trainer empfohlen, dann habe ich die genommen.“

Brav gesprochen. Der Neue scheint sich überhaupt artig unterzuordnen. Den liebevollen Beweis liefert Teamsenior Sascha Mölders, der Freude daran hat, Tallig in dessen sächsischem Idiom anzusprechen. Der Chemnitzer trägt’s mit Fassung: „Sascha kannte ich schon aus dem Fernsehen. Er ist immer spaßig drauf und erzählt sehr viel. Er ist schon ein cooler Typ. Ich bin gespannt darauf, mit ihm Fußball zu spielen.

Gemeinsam haben Mölders und Tallig das Ziel, mit 1860 die Liga verlassen zu wollen – und zwar nach oben. „Ich denke, wir wollen gut mitspielen“, sagt Tallig: „Wenn es gut läuft, dann auch aufsteigen.“ Und zu seinem eigenen Bundesligatraum? „Mal kucken, wie schnell das geht. Ich möchte hier meinen nächsten Schritt gehen und dann mal schauen!“ Die Verben kucken und schauen in einem Atemzug – auch die sprachliche Einbürgerung des Sachsen schreitet voran.

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