München – Gut zehn Jahre ist das letzte offizielle Kräftemessen zwischen Deutschland und Spanien schon her. Ein Kopfball von Carles Puyol besiegelte das Aus für die DFB-Elf im Halbfinale, Spanien wurde Weltmeister. Was sich seitdem verändert hat? So ziemlich alles bis auf eines: Wenn die Mannschaft am Donnerstag (20.45 Uhr, ZDF) auf die Selección trifft, sitzt derselbe Trainer wie 2010 auf der Bank: Joachim Löw. Sein Gegner damals ist bereits im Ruhestand: Vicente del Bosque, 69, führte Real Madrid zu zwei Champions-League-Siegen und die spanische Nationalelf zum Welt- und Europameistertitel. Im großen Interview mit unserer Zeitung erklärt der Startrainer, warum er ausgerechnet Löw so sehr bewundert, was Deutschland Spanien voraus hat und welche Rolle dabei die Bayern spielen
Señor del Bosque, erinnern Sie sich an Ihr letztes Pflichtspiel als spanischer Nationaltrainer gegen eine deutsche Auswahl?
Wie könnte ich Carles’ (Puyols/d. Red.) Kopfball im WM-Halbfinale 2010 vergessen? Erst neulich, während des Lockdowns in Spanien, habe ich mir unsere Partien der WM in Südafrika noch einmal angeschaut.
Wissen Sie noch, wie Sie besagtes Halbfinale gegen die DFB-Auswahl vorbereitet haben?
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Deutschland bei Standards etwas passiv im Raum verteidigt hat. Zwei Tage vor dem Spiel habe ich es den Spielern bei einer Besprechung erzählt und sie gefragt, welche Varianten sie bei Ecken aus ihren jeweiligen Vereinen verinnerlicht hätten. Schnell entschieden wir uns für die Barcelona-Ecke. Xavi führte den Eckball aus, Villa störte den Torwart auf der Linie, Piqué und Ramos machten die Bahn frei, Puyol kam aus dem Rückraum und vollstreckte. Dass die Spieler über derartige Entscheidungsgewalt verfügten, wurde mir oft als Schwäche unterstellt. Dabei ist in meinen Augen das genaue Gegenteil der Fall. Bei uns war die Meinung jedes Einzelnen gleich viel wert. Nur so entsteht Zusammengehörigkeit, Stärke.
Dabei fing die WM mit einer Pleite gegen die Schweiz an.
Nach unserem Auftakt war Land unter in Spanien. Die Stimmung ist natürlich schnell auf die Mannschaft übergeschwappt. Zwei Tage nach der Niederlage habe ich ihnen in einem etwas sarkastischen Ton gesagt: Jetzt sind es nur noch sechs Spiele. Wenn wir die gewinnen, dann sind wir Weltmeister. Die Spieler sind in großes Gelächter ausgebrochen. Der Satz hat gewirkt.
In der Zeit zwischen dem WM-Halbfinale 2010 und der Partie am Sonntag in der Nations League hat sich einiges getan bei der spanischen und bei der deutschen Auswahl.
Wenn ich den Blick auf die Trainerbank der Deutschen richte, ist doch alles wie früher (lacht). Spaß beiseite: Ich bewundere Joachim Löw dafür, dass er nun schon so lange das Sagen hat bei der deutschen Auswahl. Gerade in der heutigen Zeit ist das alles andere als selbstverständlich. In meinen Augen gehört er zu den ganz Großen der Fußballwelt. Mit dem Lauf der Jahre haben sich aber natürlich auch für ihn die Aufgaben geändert. Ging es 2010 noch darum, einer sehr talentierten Generation die Krone aufzusetzen – was ihm vier Jahre später schließlich gelang –, muss er nun einen Generationenwechsel moderieren. Wenn man einen Blick auf die Bayern wirft und sieht, wie speziell jüngere Spieler wie Gnabry, Kimmich oder Goretzka ausschlaggebend für den Triumph in der Champions League waren, muss sich Deutschland aber keine Sorgen machen.
Dabei waren die Zweifel nach dem Gruppen-Aus bei der WM 2018 groß.
Und genau darin liegt in meinen Augen die große Stärke des deutschen Fußballs, sei es auf Clubebene oder bei der Nationalmannschaft: dass die Verantwortlichen auch in den schwersten Momenten auf Kontinuität setzen. Nur mit einem klaren Konzept und den dafür geeigneten Personen lässt sich etwas Nachhaltiges entwickeln. Sie wissen, dass es niemand Besseres gibt als Löw, um diese Philosophie weiter voranzutreiben. Das hat er bereits zur Genüge unter Beweis gestellt.
Welche Rolle spielt darin die Bundesliga?
Eine große. Auch wenn der FC Bayern seiner Konkurrenz stets einen Schritt voraus ist, haben viele Clubs gerade bei jungen, talentierten Spielern eine große Anziehungskraft. Für die Nationalmannschaft kann es in Zeiten des Umbruchs kein besseres Fundament geben als eine Liga, in der ohne Umwege auf Nachwuchsspieler gesetzt wird. Dass das der Weg ist, hat nun auch der FC Bayern in der Champions League eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Man muss stets mit der Zeit gehen. Was gestern das Maß aller Dinge war, kann bereits morgen veraltet sein. Die deutschen Clubs haben das erkannt, weshalb es auch nicht lange dauern wird, bis auch die Nationalelf die Früchte erntet. Mit Sicherheit bei der nächsten EM, vielleicht aber auch schon in der Nations League, wo Löws Auswahl ein sehr harter Brocken für Spanien wird. Und soll ich Ihnen mal etwas sagen?
Bitte.
Auch wenn das gelegentlich falsch interpretiert wird, haben sich die Deutschen nie für die Tollsten gehalten. Der Drang nach Verbesserung ist immer da. Als wir 2010 Weltmeister wurden, hat sich Deutschland an unserer Spielweise orientiert, diese jedoch mit ihren persönlichen Stärken ergänzt. Heute ist das nicht anders. Sie treten für gewöhnlich mit ihrem natürlichen Selbstbewusstsein auf, bringen zugleich aber die nötige Demut mit, um von anderen Mannschaften zu lernen. Das wiederum sollte vielen weiteren Ländern als Vorbild dienen. Deswegen sehe ich die deutsche Auswahl auch mit Blick auf die kommenden Turniere
Interview: José Carlos Menzel López