„Er sieht den Begriff Korruption ganz anders“

von Redaktion

Sylvia Schenk von Transparency International über die Verfehlungen von Franz Beckenbauer

München – Vom Licht ins Zwielicht. Zum 75. Geburtstag von Franz Beckenbauer rücken auch die Verfehlungen des Fußball-Kaisers wieder in den Fokus. Wir sprachen mit Juristin und Ex-Leichtathletin Sylvia Schenk, Mitglied der Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International.

Frau Schenk, wie ist Ihr Bild von Franz Beckenbauer heute? Eher Licht- oder mehr Schattengestalt?

Es ist immer beides. Aber vor allem habe ich die persönlich tragische Entwicklung vor Augen, die mir ein Stück weit auch leidtut.

Leid, weil?

Weil es so unnötig war in vielen Aspekten und weil ich vermute, dass Beckenbauer selber manches auch gar nicht verstanden hat, gar nicht verstehen konnte aufgrund seiner Biografie.

Sie sprechen vom Thema Korruption, Ihr Fachgebiet bei Transparency International.

Ja, ich hatte bei ihm immer den Eindruck, dass er den Begriff der Korruption ganz anders sieht, als er heutzutage definiert ist. Da hat sich in den vergangenen 20 Jahren Grundlegendes gewandelt, da gehören jetzt Interessenskonflikte dazu, nicht materielle Vorteile. Beckenbauer hat in seinem Leben, seit er mit 17 durch die Decke gegangen ist, so viele Geschenke und Einladungen bekommen, dass er die Problematik gar nicht mehr gesehen hat, als er 2007 ins FIFA-Exekutivkomitee gewählt wurde. Plötzlich war eine Einladung nach Katar mit Blick auf die WM-Bewerbung ein Problem. Und da hat es in seinem Umfeld auch an Personen gefehlt, die ihn an seine neue Rolle und die neue Zeit erinnern hätten sollen.

Sie sagten im Jahr 2015, Beckenbauer sei „Dreh- und Angelpunkt“ der WM-Affäre 2006 gewesen und erhofften sich aufklärende Aussagen von ihm.

Diese Hoffnung hatte sich bald erledigt (lacht).

Wie glaubhaft waren die Aussagen für Sie, wonach er sich gar nicht mit Inhalten beschäftigt und Verträge blind unterschrieben habe?

Entweder war es eine Strategie der Anwälte – mit zweifelhaftem Nutzen. Oder es war tatsächlich so. Dann hätte ich aber von ihm erwartet, dass er sagt, jetzt will ich aber selbst wissen, was da wie gelaufen ist. Der bessere Rat für ihn wäre es mit Sicherheit gewesen, für Transparenz zu sorgen, authentisch zu bleiben, Fehler einzugestehen. Wenn es die Öffentlichkeit jemandem verziehen hätte, dann doch ihm. Aber vielleicht war er auch überfordert von der Wucht der Vorwürfe. Korruption hört niemand gern, Veruntreuung, persönliche Bereicherung – das war dann schon was Neues. Und vielleicht fehlte ihm darüber hinaus wie gesagt auch einfach das Unrechtsbewusstsein. Die Welt, aus der Beckenbauer kam, war ja die, wo sich ein Bundesliga-Manager bis in die 90er-Jahre hinein noch feiern ließ, weil er mit mehreren hunderttausend Mark Bargeld im Koffer für Transfers unterwegs war.

Was bleibt nach der Verjährung und Einstellung der Verfahren?

Der Verdacht und der Verlust der Glaubwürdigkeit. Auch im Fall des Honorars als OK-Chef der WM 2006. Warum hat er nicht einfach gesagt, dass er dafür Geld erhalten hat? Ein Honorar, das ihm ja auch zustand, da hätte sich niemand groß aufgeregt. Ich glaube schon, dass ihn diese Unwahrheiten beschäftigen. Ein Vergleich, wenn auch ein paar Stufen tiefer, ist Jan Ullrich. Er hätte 2006 nach dem Tour-Ausschluss reinen Tisch machen können. Dann kann die Öffentlichkeit auch verzeihen. Wenn es im Ungefähren bleibt, ist es immer schwierig.

Interview: Ludwig Krammer

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