„Einen Supercup kann man immer brauchen“

von Redaktion

Kalle Riedle über das Duell zweier Teams mit Wut im Bauch – und den Maßstab Lewandowski

München – 1997 war er in Dortmund der Held: Karl-Heinz Riedle weiß, wie sich ein Champions-League-Sieg anfühlt – und auch alles, was danach kommt. Heute ist der 55-Jährige als BVB-Legende immer noch nah dran an seinem Ex-Club. Im Interview blickt der ehemalige Stürmer auf den Supercup gegen den FC Bayern – und den besten seiner Zunft: Robert Lewandowski, für Riedle der logische Weltfußballer.

Herr Riedle, normalerweise wäre die erste Frage die nach dem Tabellenführer Bayern oder Dortmund. Nun steht aber ihr Ex-Verein Augsburg oben.

Das ist doch mal ganz lustig. Sie stehen gerade zurecht vor Dortmund und Bayern.

Jetzt treffen im Supercup zwei Teams aufeinander, die eine Pleite ausmerzen wollen. Verspricht es, ein gutes Spiel zu werden?

Das wäre auch ohne die beiden Ausrutscher interessant gewesen. Trotzdem muss man sagen, dass Bayern das Maß aller Dinge ist, daran ändert die Niederlage in Hoffenheim nichts. So konstant, wie sie in den letzten Wochen und Monaten gespielt haben, gehen sie als Favorit ins Spiel. Aber ich glaube, dass Dortmund sich gegen eine größere Mannschaft wie Bayern aktuell leichter tut. Das wird ein offenes Spiel werden – und der BVB wird hoffentlich sein wahres Gesicht zeigen.

Ist es ein besonderer Ansporn, den Bayern die Titelserie zu verhauen?

Es denkt jetzt keiner: Wir können denen was vermiesen. Trotzdem will man jedes Spiel gewinnen – und so einen Supercup kann man immer gut brauchen.

Wie viel ist so ein Supercup denn wert: Grundsätzlich – und vor allem heuer?

Er hat den gleichen Stellenwert. Auch wenn die Voraussetzungen anders sind. Man muss alles ein wenig anders nehmen zurzeit. Trotzdem finde ich, dass die Leistungen auf dem Platz überraschend gut sind. Das sportliche Niveau hat sich nicht verändert, nicht mal ohne Zuschauer.

Die letzten Ergebnisse des BVB in München: 0:6, 0:5, 0:4. Michael Zorc fordert „Eier“ – sind der Respekt, die Angst das Problem?

Das trifft es ganz gut. Ob man „Eier“ sagen muss oder vielleicht „Charakter“ sagt, sei mal dahin gestellt. Das sind alles hochtalentierte Spieler, wahnsinnig jung, mit viel Potenziel. Aber es ist halt doch noch mal was anderes, wenn man in der Allianz Arena spielt und die Bayern als Gegner hat. Da muss jeder 120 Prozent abrufen. 100 Prozent sind da zu wenig.

Reife und Erfahrung fehlen dem Team.

Trotzdem würde ich auf die Jungen nicht zu viel Druck ausüben. Das muss alles wachsen. Es kann schon sein, dass es in einem Spiel mal reicht, um die großen Bayern zu besiegen. Auf eine Saison gesehen aber braucht man die eine oder andere Erfahrung mehr in den eigenen Reihen. In den Schlüsselpositionen vorne haben die Bayern Lewandowski und Müller, beide über 30. Bei uns sind die halt 17 oder 18. Das ist ein großer Unterschied.

Wird Lucien Favre aber nicht irgendwann an Titeln gemessen?

Das ist eine Messlatte. Trotzdem muss man sehen, dass es als Erstes immer darum geht, die Champions League zu erreichen. Alles, was dazu kommt, ist schön. Aber so lange die Bayern in dieser Verfassung sind, wird das nicht geschehen. Da kann man nicht sagen: Ich kann den Titel holen. Das wird noch ein bisschen dauern.

Als Sancho verpflichtet wurde, sprachen Sie vom besten BVB-Transfer aller Zeiten. Was erwarten Sie sich von ihm?

Wenn man den Jungen über die letzten zwei Jahre beobachtet hat, muss man sagen: Sensationell! Das ist ein Ausnahmetalent. Er hat ab und an mal einen Leichtfuß drin, aber alles in allem war das schon megakonstant. Ich hoffe, er kommt da wieder an die Höchstleistung. Der macht ja Sachen, die man so relativ selten sieht in der Bundesliga.

Junge Spieler wie er brauchen Leader um sich herum. Von wem erwarten Sie sich da mehr?

Wir haben genug erfahrene Spieler in den Reihen. Mats Hummels kommt von hinten raus, für mich aber müsste Axel Witsel mehr aus sich rauskommen, die Jungen mal Kandare nehmen. Wenn Marco Reus wieder in seine Höchstform kommt, ist er auch ein Spieler, an dem sich ein Sancho orientieren kann. Zusammen können sie richtig aufblühen.

Das Stichwort ist gerne: Hunger. Die Bayern beteuern, ihrer sei ungebrochen. Wie war das bei Ihnen nach großen Erfolgen?

Der Vergleich hinkt etwas, weil ich den Verein nach dem Champions-League-Titel 1997 verlassen habe. Aber ich hatte vorher schon zwei Mal mit Dortmund die Meisterschaft gewonnen, dann die Königsklasse. Es ging also auch bei uns weiter, immer weiter. Deshalb kann ich es mir auch nicht vorstellen, dass die Bayern einknicken. Ich glaube ihnen, dass sie hungrig sind, hungrig bleiben. Am Ende jeder Karriere geht es um die Anzahl der Titel. Man will davon so viele wie möglich haben. Ein Titel sorgt nicht für eine Sättigung.

57 Spiele in 254 Tagen wären es auf dem Weg zum nächsten Champions-League-Titel, ein Mammutprogramm. Wird irgendwann das berühmte Loch kommen?

Das ganze Programm – mörderisch! Da muss man von außen auch mal drauf schauen und das respektieren. Das sind schon unglaubliche Anstrengungen über einen ganz langen Zeitraum. Bayern wird schwächeln, aber Dortmund auch. Man braucht heuer einen wirklich breiten Kader. Das ist auch für einen Trainer nicht einfach. Er muss immer wieder andere Spieler bringen. Wenn einer wochenlang draußen sitzt – und dann ein Spiel entscheiden soll: Das geht selten.

Auf die Jugend zu setzen ist in Dortmund aber leichter als in München, oder?

Hansi Flick hat ja auch den einen oder anderen jungen Spieler rein geworfen. Wenn auch nicht so dauerhaft wie in Dortmund. Die Bayern haben eine funktionierende Achse an gestandenen Spielern. Das ist ein Plus.

Vor eineinhalb Jahren sagten Sie: Die Bayern sind abhängig von der Form von Robert Lewandowski. Stimmt das immer noch?

Das hat sich verschoben. Müller war plötzlich in Topform, andere Spieler wie David Alaba oder Alphonso Davies haben entscheidend zugelegt. Das hat sich alles verteilt auf verschiedene Köpfe, auch wenn man sagen muss, dass Lewa immer noch das Maß aller Dinge ist. Für alle Stürmer in Europa. Weltweit.

Vor allem in der vergangenen Saison.

Das kann man unterschreiben. Wobei er die letzten fünf, sechs Jahre schon Außergewöhnliches geleistet hat. Er ist der beste Ausländer, der je in der Bundesliga war. Das steht fest.

Also kann es auch nur einen Sieger bei der Wahl zu Europas Fußballer des Jahres geben.

Für mich schon. Auch Manuel Neuer hat unfassbar gut gespielt, im Finale von Lissabon ging viel auf seine Kappe. Aber Lewa muss gewinnen.

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Das ist die logische Konsequenz.

Sie hatten lange eine Fußballschule – kennen die Kinder eher Neuer oder Lewandowski?

(lacht) Beide. Und wer Dortmund-Fan ist, kennt eher Reus, Sancho und Haaland.

Apropos: Haaland und Lewandowski treten erstmals während einer gesamten Spielzeit gegeneinander an. Verspricht das, ein enges Rennen zu werden?

Da ist schon noch die eine oder andere Stufe zwischen den beiden. Haaland ist eingeschlagen wie eine Granate beim BVB – muss aber auch in dem Jahr zeigen, was er kann. Es wird nicht immer nur nach oben gehen, auch er wird mit Rückschlägen umgehen müssen. Nichtsdestotrotz sehe ich bei ihm eine körperliche Robustheit, eine Dynamik, die ich selten bei einem Stürmer gesehen habe. Er braucht halt noch die Erfahrung, die Lewandowski hat. Die musste er sich ja auch erst erarbeiten. Haaland hat Riesenpotenzial. Wir werden noch viel von ihm sehen.

Ein Tor im Supercup?

Schön wär’s (lacht).

Interview: Hanna Raif

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