„Die Brücke halten, Pasquale!“

von Redaktion

Der Ringer Passarelli und sein 85 Sekunden langer Kampf gegen die Schulter-Niederlage 1984 in Los Angeles

VON GÜNTER KLEIN

Jürgen Emig ist heute 75. Wer seinen Namen hört, hat auch gleich wieder seine Stimme im Ohr, oft ist sie bei den Radsportübertragungen der ARD erklungen, als Jan Ullrich noch fuhr und die Deutschen ihn liebten. Oft ist Emig auch auf dem Bildschirm zu sehen gewesen. Krauses graues Haar, er wirkte ein bisschen wie der Fußballtrainer Karl-Heinz Feldkamp. Wer beim Hessischen Rundfunk unter Jürgen Emig arbeitete, sprach in der Regel gut über ihn: Fairer Vorgesetzter, tritt für seine Leute im Senderverbund der ARD ein.

Doch beim Namen Jürgen Emig klingelt es auch so: War die Hauptfigur in einem Prozess wegen Betrugs und Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung. Über eine Tarnfirma schleuste er Sponsorengelder am Hessischen Rundfunk vorbei, das Landgericht Frankfurt machte bei ihm „ziemlich viel kriminelle Energie“ aus. Jürgen Emig wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, er musste Schadenersatz leisten und verlor seine Reputation, seinen Job, eigentlich alles.

Das bleibt. Allerdings auch eine der großen Reportagen von Olympischen Spielen. Am 1. August 1984, in einer der Olympia-Nächte aus Los Angeles, die in deutsche Wohnzimmer übertragen wurden, kam alles zusammen: Ein spektakuläres Ereignis, das einen neuen Helden schuf, eine Goldmedaille, die nicht in den Kalkulationen stand, und der punktgenaue Kommentar, dessen Kernbotschaft zur Parole wurde: „Die Brücke halten, Pasquale!“

Pasquale Passarelli stand im griechisch-römischen Ringen in der Klasse bis 57 Kilogramm im Finale gegen den Japaner Masaki Eto. Der war Weltmeister und Favorit. Und eigentlich auch nahe daran, den Deutschen zu schultern. Eto hatte Passarelli auf dem Rücken, drückte ihn auf die Matte, doch Passarelli ging in die Brücke, er stemmte sich mit den Füßen in die Matte und drückte sein Becken hoch, um die Schultern Millimeter über dem Boden zu halten. Er konnte nichts anderes mehr tun als diese letzte Gegenwehr zu leisten – und so seine 8:5-Führung zu halten. 85 Sekunden hielt er stand und konnte sich auf den letzten Drücker dem Griff Etos sogar entziehen.

„Aufpassen, Pasquale, nicht auf die Schultern gehen! In die Brücke- Er hält es. Das darf doch nicht wahr sein. Jetzt können wir nur noch die Damen drücken und hoffen dass er da nochmals rauskommt. Das müssen unglaubliche Schmerzen sein. Das kann er nicht halten, das kann er einfach nicht halten, das ist eine unmenschliche Belastung. Pasqale die Brücke halten! Er dreht, er verwringt den Körper, um nicht auf die Schultern zu kommen. Zehn Sekunden noch, neun, acht, sieben, sechs, Pasquale, fünf vier, und er ist rausgekommen, und es ist aus.“

Als Gewinner der Silbermedaille würde er sich den Kampf nicht mehr anschauen, sagte Passarelli Jahrzehnte später, doch wegen des guten Ausgangs „kann ich mich daran nicht sattsehen. Ich bekomme immer wieder Gänsehaut, wenn ich sehe, wie brutal ich mich gegen die Schulterniederlage gewehrt habe. Es war ein Kampf um Leben und Tod.“ Er erlebte ihn in Trance, das Ende im Unterbewusstsein, konnte Stunden danach kaum klar denken und stehen, „ich hatte ein dickes Auge, meinen Mittelfinger und die linke Hand habe ich erst nach einer Woche wieder gespürt. Sie waren wie abgestorben.“

Durch die Art des Sieges hielt Passarellis Bekanntheit an. Kein Vorteil, denn: . So bekam jeder mit, dass er 2019 nach sechs Monaten Untersuchungshaft zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Er hatte einen pflegebedürftigen Freund unterstützt, der eine Cannabis-Plantage betrieb. Er war in die Sache – so die Einschätzung des Richters – mehr hineingezogen worden, als dass er sie aktiv betrieben hätte. Trotzdem: Irgendwie eine Brücke zu Jürgen Emig.

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