Transfers in letzter Sekunde sind eigentlich nichts für den FC Bayern, genauso wie Winterneuzugänge. Natürlich hat es sie in Ausnahmefällen schon gegeben, aber selbst versierte Bayern-Kenner müssen lange überlegen, um aus all den „Last-Minute-Männern“ der vergangenen Jahre eine Liste zu erstellen, die so lang ist wie jene, die heuer am allerletzten Tag der Transferperiode zustande kam. Es hat Arjen Robben gegeben, Xabi Alonso, Javi Martinez und irgendwann auch mal Mark van Bommel. Eine Dimension wie 2020 aber ist ein absolutes Novum. Wer böse sein will, kann sagen: Die Bayern bedienen sich am Wühltisch. Das allerdings trifft es nicht.
Dass der Transfermarkt in diesem Corona-Jahr – nicht nur wegen des verschobenen Fensters – ein anderer sein würde, war zu erwarten. Die Unsicherheit ist groß, das Geld fehlt, Planungssicherheit ist kaum gegeben. Das haben vor allem kleinere Vereine zu spüren bekommen, es konnten sich aber auch die großen nicht davor schützen. Die Sätze, die Hertha-Trainer Bruno Labbadia vor dem 3:4 in München am Sonntag sprach, wären fast untergegangen – dabei waren sie so aussagekräftig. In Berlin habe so gut wie kein gewünschter Transfer geklappt, erzählte er. Und nach einem Gespräch mit den Verantwortlichen des FC Bayern könne er sagen: „Sie haben das bestätigt. Es war brutal schwer dieses Jahr.“
Der Maßstab also muss ein anderer sein – und unter diesen Voraussetzungen darf man ruhig zugeben, dass Hasan Salihamidzic zumindest auf dem Papier gute Arbeit geleistet hat. Der Sportvorstand hatte die Aufgabe, den müden Triple-Kader in der Breite zu verstärken, neben Tanguy Nianzou und Leroy Sané fehlten ein Rechtsverteidiger, ein Flügelspieler, ein Mittelfeldmann und ein Sturm-Ersatz. Bis gestern 18 Uhr waren die Neuzugänge von Bouna Sarr, Douglas Costa, Marc Roca und Eric Choupo-Moting unter Dach und Fach. Kaputte Faxgeräte oder tote Leitungen kamen nicht dazwischen.
Flick hat also nun den Kader, den er sich gewünscht hat, auf allen Positionen doppelt besetzt. Damit lässt sich arbeiten, damit lassen sich sogar Ziele definieren. Die Breite ist da, um das Mammut-Programm zu stemmen und in allen drei Wettbewerben nach dem Maximum zu streben. Ob die Güte der Neuen reicht, wird sich bis zum Winter zeigen. Und zur Not bessert man dann nach: Alles ist erlaubt – jetzt, wo man ein „Last-Minute-Club“ ist.
Hanna.Raif@ovb.net