München – Ein kleines Leuchten ist am Horizont zu sehen, Judith Havers kann das Treiben im Ziel schon hören und trotzdem verliert sie fast die Orientierung. Die Dunkelheit der Nacht bahnt sich unaufhaltsam ihren Weg und der starke Wind hat die roten Sandsäcke, die den Läufern beim 100-Kilometer-Ultralauf durch die Wüste Tunesiens als Wegweiser dienen, umgeblasen. Dank ihrer Stirnlampe findet sie doch noch den Weg und überquert nach 12 Stunden und 21 Minuten die Ziellinie.
„Für einen Moment war ich ein bisschen verloren“, sagt die 43-Jährige ein paar Tage später am Telefon rückblickend über die Situation vergangenen Samstag. Eigentlich sind die Säcke etwa alle 150 Meter aufgestellt, aber was bedeutet das schon, wenn man bei 38 Grad nur mit einem Zwei-Liter-Wasserrucksack bewaffnet durch die Wüste läuft. 86 der 122 Starter meisterten die Tortur erfolgreich, andere mussten sich übergeben oder an den Zwischenstationen medizinisch versorgt werden. So schnell wie Havers war in diesem Jahr keine andere Frau. Nach ihrem Start in den frühen Morgenstunden, der in mehreren Gruppen erfolgte, wusste die Hamburgerin lange nicht, auf welchem Platz sie sich genau befindet. Dass sie dem Sieg entgegenlief, erfuhr sie erst nach 80 Kilometern. „Ich habe so viel Respekt bei so einem Rennen, dass ich mich schon freue, wenn es generell gut läuft“, sagt Havers, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, ihre Zeit (13,5 Stunden) aus dem Debüt im Vorjahr zu knacken. „Als ich es erfahren habe, war ich aber schon so ehrgeizig, dass ich gewinnen wollte.“
Als Belohnung gab es 3000 Euro. Aber natürlich liegt der Reiz mitzumachen nicht im Preisgeld, sondern in der Magie der Wüste. Zu Hause spult Havers ihr Tagespensum von 15 bis 20 Kilometer meist an der Elbe ab, aber die Hitze, das Licht und der Sand in der Sahara lockte sie an. Als die Idee aufkam war sie schnell „Feuer und Flamme“, so Havers. Mit den heißen Temperaturen kam das Nordlicht gut zurecht, auch ihre beiden zusätzlichen faltbaren Trinkflaschen, die sie sicherheitshalber dabei hatte, brauchte sie nicht. Die Checkpoints nach etwa 15 Kilometern zum Wiederauffüllen das Rucksacks reichten aus.
Ärger hingegen bereiteten der Untergrund und der Wind. Den Anfang der Strecke des Ultra-Mirage-El-Djerid-Geländelaufs (UMED), eine Salztonebene, die als Kulisse für „Star Wars und „Indiana Jones“ diente, absolvierte Havers noch bei einem Kilometerschnitt von fünf Minuten. Auch die sogenannte Todeszone, ein schnurgerader Sechs-Kilometer-Abschnitt, stellte sie in diesem Jahr vor keine außergewöhnlichen Probleme. „Ich konnte mich ganz gut eingrooven.“
Doch irgendwann wurde der Sand immer mehliger. Havers sank tiefer und tiefer ein und musste sich obendrein dem angekündigten Sandsturm erwehren. Wohin sie auch lief, gefühlt blies ihr der Wind 30 Kilometer lang den Sand frontal ins Gesicht. Wie wenn vor ihr ein unsichtbarer Föhn auf höchster Stufe ackern würde. „Da habe ich gut geflucht“, gibt Havers zu. Ans Aufgeben denkt das Energiebündel in solchen Augenblicken nicht, im Gegenteil. „Ich sehe das dann als Herausforderung“, erklärt Havers und ergänzt: „Ich gehe nicht gerne den einfachen Weg.“
Zu welchen exotischen Plätzen sie ihr Weg in den nächsten Jahren noch führen wird, weiß sie noch nicht. „Genug habe ich eigentlich nie“, sagt Havers, die selbstständig im Online-Marketing arbeitet und einen eigenen Blog betreibt. Nicht einmal nach einem Wüstenrennen. Sie freue sich auch mal wieder auf einen schnelleren Halbmarathon-Sprint. Wohl dem, der 21,0975 Kilometer als Sprint bezeichnen kann.