Des Amtes müde?

von Redaktion

Löw wirkt genervt, die Kritik wächst – er braucht einen Sieg in der Ukraine

VON MANUEL BONKE

Köln/München – Jogi Löw ist zunehmend genervt. Von sinnlosen Testspielen während des ohnehin vollgepackten Corona-Spielplans. Vom permanenten Rücksprachehalten mit den Vereinstrainern, was die Spielernominierung und deren Belastungsteuerung betrifft. Und natürlich auch vom Unvermögen seiner Mannschaft, eine Führung auch mal über die Zeit zu retten – wie beim 3:3 gegen die Türkei. „Das Ergebnis macht uns alle angefressen. Wenn man dreimal führt und wie im September gegen Spanien eigentlich in letzter Minute das Ausgleichstor kassiert, ist das ganz schön ärgerlich“, schimpfte der Bundestrainer. Nur ärgerlich? Oder vielmehr ermüdend?

Fakt ist: Durch die Corona-Pandemie läuft der von Löw forcierte Umbruch innerhalb der Nationalmannschaft sehr schleppend. Weil die Stammspieler um Manuel Neuer, Toni Kroos & Co. regelmäßig Pausen erhalten sollen, musste Jogi bisher überwiegend mit Ergänzungsspielern arbeiten. In der Vergangenheit machte es Löw stets Spaß, Talente wie Kai Havertz, Robin Koch oder Luca Waldschmidt zu entwickeln, wie beispielsweise der Confed-Cup-Sieg 2017 bewiesen hat. Damals blühte Jogi bei der täglichen Arbeit mit seiner jungen Truppe auf. Aktuell scheint der Bundestrainer aber keinen Nerv für die Talent-Entwicklung zu haben. Oder ist er mittlerweile einfach amtsmüde?

Unmittelbar nach dem WM-Desaster 2018 in Russland wirkte Löw noch voller Tatendrang, trennte sich vom Weltmeister-Trio um Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng – um für die junge Generation Platz zu schaffen. Doch genau das könnte ihm jetzt zum Verhängnis werden: Löw läuft die Zeit davon! Er weiß, dass seine Zukunft als Bundestrainer vom Abschneiden bei der anstehenden Europameisterschaft abhängt. Überzeugen Jogis Jungs bei der EM, darf der Bundestrainer seinen Vertrag bis 2022 erfüllen und die WM in Katar an der Seitenlinie miterleben. Gibt es eine EM-Enttäuschung, ist Jogi weg! Und durch die verpassten Siege in letzter Minute spürt Löw extern aktuell starken Gegenwind. „Ich möchte ein Deutschland sehen, das an sich glaubt und selbstbewusst spielt. Und nicht ein Deutschland, das sich nach dem Ergebnis oder Gegner ausrichtet und danach das System umstellt. Das ist nicht Deutschland“, kritisiert beispielsweise Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus bei Sky.

Darum braucht die DFB-Elf am heutigen Samstag gegen die Ukraine (20.45 Uhr, ARD) unbedingt einen spielerisch überzeugenden Sieg. Das würde etwas Druck aus dem Kessel der Nationalmannschaft und von Löw nehmen. „Für die beiden Spiele in der Ukraine und gegen die Schweiz haben wir uns viel vorgenommen. Klar ist, dass wir nun auch Punkte in der Nations League holen wollen. Wir wollen uns endlich wieder mit Siegen belohnen für den Aufwand, den wir betreiben“, kündigt Löw an.

Durch einen Sieg würde die Position des Bundestrainers wieder gestärkt. Vielleicht wirkt er dann auch nicht mehr amtsmüde, was nach 14 DFB-Trainerjahren freilich nicht verwunderlich wäre.

Artikel 1 von 11