ZWISCHENTÖNE

Lug, Betrug und Geldgier

von Redaktion

Es hätte diesen Prozess nun wirklich nicht mehr gebraucht, um auch dem Letzten klarzumachen, dass der heutige Spitzensport nichts, rein gar nichts mehr mit dem Sport zu tun hat, den wir einst so geliebt haben. Doch die nun vor dem Landgericht München ausgebreiteten Enthüllungen über die Dopingpraktiken des Erfurter Mediziners Schmidt lassen selbst den, der noch immer irgendwie an das Gute im Sport und im Menschen geglaubt hat, fassungslos zurück oder bringen ihn dazu, sich angewidert abzuwenden von diesem entarteten Zirkus, der dort aufgeführt wird.

Es klingt fast wie aus dem Drehbuch eines grottenschlechten Krimis, wenn wir hören, wie Athleten hinter Büschen und Hausecken hervor in ein im Schritttempo vorbeirollendes Auto springen, um sich ein Flexüle legen zu lassen. Blut rein vor dem Wettkampf, Blut raus danach. Blut, das zuvor abgezapft worden war, bei dem mit einer Zentrifuge die Erythrozyten vom Blutplasma getrennt, abgefüllt, mit Glycerol haltbar gemacht, tiefgefroren und dem Athleten vor dem Start wieder zurückgeführt wurden. Rote Blutkörperchen transportieren Sauerstoff und je mehr Sauerstoff transportiert wird, desto höher die Leistung. Das ist nicht nur reichlich pervers, das ist natürlich auch verboten. Aber der Doktor hat das nicht aus purer Geldgier gemacht, wohl eher, wie er sagt, „aus Liebe zum Sport“.

Nun könnte man ihn als völlig durchgeknallt bezeichnen. Wahrscheinlich aber ist er nur ein Protagonist dieses modernen Spitzensports, in dem nichts mehr abartig oder undenkbar scheint. Der von skrupellosen, gierigen Menschen seiner Werte, seiner Moral beraubt worden ist, in dem Profit und das Siegen um jeden (noch so teuren) Preis das einzig Wichtige, das allein Entscheidende sind. Und wer diese Art von Sport liebt, ist wohl auch bereit, mit der Gesundheit junger Menschen zu experimentieren, auch wenn es in Bereiche geht, die für uns nur noch eklig klingen.

Okay, man kann das nun abtun als Auswüchse einer ansonsten guten Sache. Leider aber mehren sich die Auswüchse, es vergehen ja kaum Wochen, in denen mal kein Skandal oder Skandälchen aus dem Spitzensport publik werden. Gerade hat Oliver Bierhoff im Spiegel noch erklärt, wie der DFB die Fans wieder für „die Mannschaft“ begeistern will, da hört man von einer Durchsuchung in der Verbandszentrale und bei führenden Funktionären wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Und noch immer nicht aufgeklärt sind die dubiosen Vorgänge um die WM-Vergabe 2006.

Längst ist man abgehärtet, Lug und Betrug, Macht und Geldgier fressen den Sport auf, dabei sollte der Spitzensport die immer träger werdende Jugend dazu animieren, großen Vorbildern nachzueifern, sich zu bewegen, Ehrgeiz und Leistung zu entwickeln. Wirkliche Vorbilder aber werden rar, der Spitzensport wird dominiert von Menschen, die lügen, betrügen, die nichts anderes im Sinn haben, als sich selbst zu bereichern und dabei über Leichen gehen. Ein schlimmes Bild, das der Sport, blickt man unter die Hochglanz-Oberfläche, von sich zeichnet. Erst kommt das Siegen, dann lange nichts, vielleicht, mit etwas Glück, ganz am Ende ein bisschen Moral.

Dabei wäre es gerade jetzt, in Zeiten von Corona, so wichtig, Kindern und Jugendlichen einen Sport zu zeigen, der es wert ist, dass man sich mal löst vom Computer, vom Smartphone, von der Konsole. Er ist ein bedeutender Beitrag für die Gesundheit, die Entwicklung, für die Menschwerdung. Dass es selbst unter Dopern auch menschelt, zeigt die kleine Episode vom Rande des Münchner Prozesses: Zu Weihnachten bekamen die Klienten von der Erfurter Praxis neben der Blutkonserve auch immer Thüringer Stollen. Den liebten sie so sehr, erzählt eine Mitarbeiterin.

Von Reinhard Hübner

Nicht nur der jüngste Dopingprozess macht deutlich, dass der Spitzensport seiner Moral beraubt worden ist.

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