München – Den FC Bayern kennen die Sportfans beinahe in- und auswendig. Aber was passiert eigentlich hinter den Kulissen der SG Flensburg-Handewitt – also quasi der „Handball-Bayern“? Wie ticken Handballspieler, wie verrückt sind sie? Wie feiern sie, wie trauern sie? Das zeigt die dramatische und spektakuläre sechsteilige Doku „Inside SG Flensburg-Handewitt“, die Abonnenten von Amazon Prime Video ab Freitag (16. Oktober) sehen können. Stefan Kleinalstede, Sportfilm-Produzent aus Finning am Ammersee, verrät im Interview, wie sein Leckerbissen für alle Sportfans entstanden ist. Motto: Blut, Schweiß und Dänen.
Hallo, Herr Kleinalstede, Sie haben mit Ihrem Team die SG Flensburg über die komplette Saison 2019/20 begleitet, bis zum traurigen Ende wegen Corona.
Ganz genau. In der ersten Folge holen wir Flensburgs dänischen Kapitän Lasse Svan zuhause ab und fahren mit ihm zum Abschlusstraining vor dem ersten Spiel. Lasse ist einer von vier Handballern auf dem Planeten, die alle Titel gewonnen haben, Olympia, WM, EM, Champions League, Deutscher Meister und Pokalsieger. Und der freut sich riesig, wenn wir mit seiner Familie zuhause essen, wenn wir uns für seinen Sport interessieren. Der trifft zwischendurch seine Königin Margrethe und erzählt es uns vor lauter Bescheidenheit nicht mal.
In der letzten Folge verliert Flensburg den Titel – aber nicht auf dem Handballfeld.
Das war so unfassbar bitter. Die ganze Saison war eine Achterbahnfahrt. Und vor dem vorentscheidenden Heimspiel gegen Kiel wird die Liga wegen Corona abgebrochen. Damit war der THW Meister…
Ausgerechnet Kiel.
Für Flensburger ist das schlimmer als für Löwen-Fans, wenn Bayern Meister wird. Wir waren bei der Entscheidung der Handball-Liga dabei und zeigen, wie SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke den Spielern per WhatsApp mitteilt, dass es vorbei ist. Danach ist nur noch Leere. Die Jungs fallen ins Bodenlose und dürfen 145 Tage lang nicht mehr miteinander Handball spielen. Trainer Maik Machulla sagt uns am Ende, dass es diese Mannschaft so nie mehr geben wird. Die werden, sorry, richtig vom Schicksal gef…t.
Sie klingen jetzt noch ganz mitgenommen von dieser Dramaturgie.
Ich drehe seit zwanzig Jahren Sportdokus, aber so etwas habe ich noch nie gesehen. Wer sich diese vier Stunden am Stück anschaut, braucht gute Nerven – und erlebt alle Höhen und Tiefen, die Sport bieten kann.
Wo durften Sie mit der Kamera hin und wo nicht?
Wir durften überall hin. Wir waren in der Kabine und im Mannschaftsbus, bei der Weihnachtsfeier und in der Trainingshalle. Wir durften den Trainer verkabeln. Und wir zeigen den absoluten Tiefpunkt der Saison, als Machulla beim Training seine Pfeife wütend durch die Halle pfeffert. Es gab praktisch keine Tabus.
Wie sind Handballer drauf, auch im Vergleich zu Fußballern?
Das kann man überhaupt nicht vergleichen, allein schon vom Geld her. Flensburg hat ein Jahresbudget von sieben Millionen Euro, das reicht nicht einmal für ein halbes Jahr Thomas Müller. Aber die brennen so unglaublich für ihren Sport. Ich denke, viele Handballer sind richtig schlau. Kreisläufer Johannes Golla studiert mit großem Zeitaufwand Sportwissenschaften, Lasse Svan will Motivations-Coach in der NFL werden. Und sie sind völlig schmerzunempfindlich.
Da gibt es diese Szene mit dem Honey Badger in der Kabine.
Der Honey Badger, auf Deutsch Honigdachs, ist das verrückteste und furchtloseste Tier der Welt. Der jagt Bienen und Giftschlangen – und es ist ihm völlig wurscht, wenn sie ihn in die Nase beißen. Deshalb gibt es bei den Flensburgern immer den Honey Badger des Tages, den härtesten Mann des Spiels. Wenn es um Schmerzen geht, ist bei Handballern irgendeine Drüse lahmgelegt. Ein Neymar, der ewig rumjammert, hätte hier keine richtigen Freunde.
Eigentlich wollten Sie eine Fußballdoku drehen, am liebsten ein „Inside FC Bayern“.
Und jetzt bin ich glücklich, dass es Handball geworden ist – und dass wir den Zuschauern diese unglaublichen Typen vorstellen können. Trainer Maik Machulla ist ein Handball-Kloppo, ein Menschenfänger. Kapitän Lasse Svan ist der sympathischste, zugänglichste und lässigste Sport-Superstar, den ich je erlebt habe. Und der Handball liefert so großartige Geschichten – zum Beispiel von Gøran Johannessen, dem Rückraumspieler, der sich als Obstwart um Obstsalat für die ganze Truppe kümmert, vor jeder Videoschulung. Das gibt es beim FC Bayern in dieser Form ja auch nicht.
Die Heimspiele, bei denen 6300 Fans in der Flens-Arena ihre SG nach vorne peitschen, gibt es in dieser Form derzeit auch nicht.
Leider. Im Moment dürfen 1000 Leute rein, die Handballer spüren bodenlose Schmerzen. Klubs wie die SG Flensburg kämpfen wirklich um ihre Existenz. Wenn sich jetzt ein Spieler mit Corona ansteckt, kann alles vorbei sein. Da zeigt unsere Doku eine Sportwelt, die momentan gar nicht mehr existiert. Ich hoffe nur, dass das alles wieder zurückkommt.
Interview: Jörg Heinrich