München – Erst ein kurzes Telefonat hat es zwischen Lukas Dauser und seinem Trainer Hubert Brylok gegeben, aber schon in diesem wurde klar: Es muss umgedacht werden. Weil die deutschen Turner – wie am Montag vom DTB bekannt gegeben – im Dezember nicht an den Europameisterschaften im Corona-Risikogebiet Mersin/Türkei teilnehmen werden, ist die Saisonplanung dahin. Eine frühere Urlaubszeit, um dann fit ins Olympiajahr 2021 zu starten, steht aktuell im Raum. Alles Gedankenspiele, die – das lehrt das Jahr 2020 – auch schnell mal über den Haufen geworfen werden können.
„Wir sind Athleten und Sportler, wir trainieren für Wettkämpfe und Großereignisse“, sagt Dauser. Man merkt dem Unterhachinger, der seit dem Sommer in Halle an der Saale trainiert, das Gefühlschaos an, in dem er sich befindet. Dauser ist enttäuscht, freilich, aber er ist auch ein differenziert denkender junger Mann. Bei der virtuellen Sitzung am Montag war er als Athletensprecher zugeschaltet, als die Lage gemeinsam mit Verbandsärzten, Cheftrainern und Nachwuchs-Bundestrainern erörtert wurde. Eine Überraschung war der Verzicht auf die Reise in die Türkei nicht mehr, genau wie jener der Rhythmischen Sportgymnastinnen auf ihre kontinentalen Titelkämpfe Ende November in Kiew (Ukraine). „Aus sportlicher Sicht wären wir gerne gestartet“, sagt Dauser. Aber DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam fügt gegenüber unserer Zeitung hinzu: „Die Entscheidung war ohne Alternative.“
Die Ärzte hatten schon vor Wochen festgelegt, keinen Athleten in ein Risikogebiet zu entsenden. Es herrschte laut Willam daher auch jetzt, nachdem die EM der Turner aus Baku nach Mersin verlegt worden war, „große Einstimmigkeit“. Der 64-Jährige betont: „Wir wollten und werden kein Risiko eingehen.“ Auch die Russen, Briten und Schweizer haben abgesagt.
Natürlich wäre es theoretisch auch möglich gewesen, sich in einer sogenannten Blase zu bewegen. Allerdings betrifft die Reise ja nicht nur hauptamtlich Beschäftigte, sondern auch unter anderem Ärzte, Physiotherapeuten und Kampfrichter. „Die wären von ihren Arbeitgebern gar nicht freigestellt worden“, erklärt Willam, „oder sie hätten nach ihrer Rückkehr in Quarantäne gemusst.“ Er spricht dabei Probleme an, die zahlreiche Sportarten abseits des Königs Fußball haben. Sportliche Gesichtspunkte stehen da deutlich weiter hinten. Willam spricht von „gesellschaftlicher Verantwortung“, die für ihn und den DTB Priorität haben. Und er sagt: „Wenn man anders denkt, begibt man sich in einen Tunnel.“
Neid oder Missgunst hört man nicht. Unverständnis herrscht eher gegenüber der Entscheidung von „European Gymnastics“, aber die Turner um Dauser versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Die vier bis fünf Wettkämpfe der Bundesliga gewinnen an Bedeutung, Highlight wird 2020 die Deutsche Meisterschaft Anfang November in Düsseldorf. Was laut Willam fehlt und nicht zu ersetzen ist: „Internationale Vergleiche vor den Olympischen Spielen.“ Erst bei den Weltcups im kommenden Jahr kann man nun sehen, „wie die anderen Nationen aus der Pandemie gekommen sind“. Der einzige Trost: Die Konkurrenz hat dieselben Probleme. Alle paar Wochen muss umgeplant werden.