Sölden – Der Bruder ist schuld, das kommt ja bei Geschwistern öfters vor, aber böse ist ihm Lisa Loipetssperger nicht – ganz im Gegenteil. „Ich wollte ihm immer hinterher“, sagt sie. Wenn die kleine Schwester dem großen Bruder nacheifert, muss nicht immer etwas Gutes dabei herauskommen. In diesem Fall jedoch schon.
Wobei: Der drei Jahre ältere Felix hat das mit Skifahren als Leistungssport mittlerweile sein gelassen und arbeitet jetzt als Trainer beim Skiverband München. Lisa lebt dagegen den Traum von der großen Karriere auf Schnee weiter – und ist ihm am Wochenende ein Stückchen näher gekommen. Mit dem 50. Platz beim Riesenslalom in Sölden ist sie zwar noch weit entfernt von der Weltelite, aber es war ja auch das erste alpine Weltcup-Rennen für die 20-Jährige. Immerhin war sie zweitschnellste Deutsche und hat die arriviertere Jessica Hilzinger knapp hinter sich gelassen. „Es war schon cool“, sagt sie, wenn auch nicht perfekt. Im Steilhang, gibt sie zu, „war vielleicht der Respekt noch zu groß“.
Skifahren spielte bei der Familie Loipetssperger aus München schon immer eine große Rolle. Die Eltern nahmen die Kinder früh mit auf die Piste. Als Felix die ersten Rennen fuhr, wollte Lisa auch unbedingt dabei sein. Und wie ihr Bruder fiel auch sie den Trainern des WSV München auf. „Dann“, sagt sie, „hat sich alles ein bisschen verselbstständigt.“ Weil sie besser war als die meisten ihrer Altersgenossinnen. Sie rückte auf in den Münchner Skiverband, dann in die Kader des Deutschen Skiverbandes. Nach der Mittleren Reife wechselte sie nach Berchtesgaden auf die Christopherus-Schule und machte ihr Fachabitur.
Mittlerweile ist sie Sportsoldatin und will nebenbei Immobilienwirtschaft studieren. Sie gehört zu jener Generation, über die Wolfgang Maier, Alpindirektor im Deutschen Skiverband sagt, dass sie irgendwann die Lücke, die Viktoria Rebensburg mit ihrem Rücktritt hinterließ, halbwegs schließen könnte. In den vergangenen Wintern hat die Riesenslalom- und Slalomspezialistin erst einmal versucht, sich im Europacup zu etablieren. Dass dort Platz 20 ihr bestes Resultat war, in einem Alter in dem Rebensburg oder Maria Höfl-Riesch schon ganz oben angekommen waren, muss nichts bedeuten. Eine Kathrin Hölzl, Riesenslalomweltmeisterin von 2009, gehörte auch eher zu den Spätstarterinnen. Sie war mit 20 auch nicht sehr viel weiter als jetzt Loipetssperger, die „gute Technik und freches Skifahren“ auszeichnet, wie Frauen-Cheftrainer Jürgen Graller findet.
Graller hat schon in der vergangenen Saison immer wieder einmal junge Läuferinnen im Weltcup starten lassen, es sei wichtig, sagt er, dass sie Strecken kennenlernen. Dass der Fokus nun noch mehr auf dem Nachwuchs liegt, hält er auch für eine Chance. „Jetzt ist es an der Zeit, dass sie aus der Komfortzone rauskommen“, findet Graller. Wie groß der Sprung vom Europa- zum Weltcup ist war bei Loipetssperger am Wochenende festzustellen. „Wenn man von unten kommt, hat man doch nichts zu verlieren“, sagte der Chefcoach und gab seiner Debütantin mit auf dem Weg, so „unkompliziert und frech“ zu fahren wie zuvor im Training. Das sei ihr „ansatzweise“ gelungen. Für den Anfang nicht schlecht.