„Ein guter Kerl durch und durch“

von Redaktion

Teil II des Hoeneß-Interviews: „Wir werden Gerd immer aus tiefstem Herzen dankbar sein“

Gerd Müller hat alle Tor-rekorde gebrochen, hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, er war ein Superstar – und dennoch hat er sich nie wie ein solcher benommen …

Im Gegenteil. Gerd hat sich immer im Hintergrund gehalten. Er hat sich in dieser Glitzerwelt nicht wohlgefühlt. Das Einzige, was er sich als Luxus auch geleistet hat, war einer dieser riesigen Wahnsinns-Pelzmäntel, die damals viele von uns beim FC Bayern hatten. Sepp Maier hat damit angefangen, dann Franz Beckenbauer, ich hab mir einen kanadischen Wolfspelz gekauft. Da hab ich ausgeschaut wie Schwarzenegger in seiner besten Zeit. Das war völlig gaga, so was würden wir alle heute nie mehr machen, aber es waren halt andere Zeiten. Gerd zog schließlich mit einem kanadischen Fuchs nach. Dass wir ihn so weit gebracht hatten, da mitzumachen, das war ein Weltwunder. Der Gerd ist ja 98,5 Prozent seines Lebens in Trainingskleidung herumgelaufen.

Gerd Müller galt intern immer als ausgesprochen gutmütig. Hat er sich wirklich nie gestritten?

Nun, sagen wir es so: Gerd war ein Gerechtigkeitsfanatiker. Das zeigte sich auch bei dem Wirbel um die Prämien für die Heim-WM 1974. Der DFB hatte uns Nationalspielern nur eine geringe Summe geboten, und der Gerd hat im Trainingslager geschimpft: „Wir fahren heim!“ Es ist dann abgestimmt worden, das Ergebnis war 11:11. Das war kurz vor der WM. Die Hälfte der Mannschaft wollte abreisen. Franz Beckenbauer hat schließlich mit dem DFB eine Prämie von 70 000 Mark ausgehandelt und somit dafür gesorgt, dass wir dageblieben sind.

Das hat sich dann ja auch gelohnt. Deutschland wurde Weltmeister durch ein 2:1 im WM-Finale gegen die Niederlande. Müller schoss das Siegtor.

Unglaublich, wie er die scharfe Hereingabe angenommen und sich gedreht hat – dabei hat er den Ball gar nicht richtig getroffen. Der kullerte ja nur irgendwie ins Tor. Das war so typisch für Gerd.

Für den FC Bayern waren seine Tore ja der Schlüssel zur großen Ära der 70er-Jahre.

Genau. Zwei Spieler haben aus dieser tollen Mannschaft herausgeragt: Gerd und Franz. Die waren unbezahlbar und sportlich nicht zu ersetzen.

Was halten Sie von der These, dass der FC Bayern ohne Gerd Müllers Tore nicht der Verein wäre, der er jetzt ist.

Das ist auf jeden Fall so. Ohne Gerd wäre es zu 100 Prozent anders gekommen. Der FC Bayern weiß sehr genau, wie wichtig Gerd Müller für diesen Verein war. Wir werden ihm alle immer aus tiefstem Herzen dankbar sein.

2014 wurde festgestellt, dass Gerd Müller an Demenz leidet, seit fünf Jahren befindet er sich in einem Pflegeheim. Wie ergeht es Ihnen, wenn Sie Ihren früheren Weggefährten als Schwerkranken erleben?

Ich hatte so viele unendlich schöne Erlebnisse mit Gerd, und ich denke, die Fußball-Fans verbinden mit ihm ebenfalls die schönsten Bilder und Erinnerungen. Genau so wird er uns allen, ehemaligen Mitspielern wie den Freunden dieses wunderbaren Spiels, immer im Gedächtnis bleiben: Als der großartige Stürmer, der er war, zudem als großartiger Kamerad und als großartiger, feiner, toller Mensch: Stets bescheiden, immer für jeden ein nettes Wort, ein guter Kerl durch und durch.

War während der Corona-Krise überhaupt noch ein Kontakt möglich?

Nein, aktuell können wir ihn nicht besuchen. Bei ihm – und das jeden Tag – ist aber seine Frau Uschi, die sich unglaublich um ihn kümmert. An seinem Schicksal nehmen viele Menschen großen Anteil. Ich werde von allen Seiten immer wieder gefragt, wie es ihm gehe. Und da merkt man auch, dass Gerd einer der wenigen Menschen ist, der keine Feinde hat. Ich kenne keinen wie ihn: Über Gerd sagt niemand jemals etwas Schlechtes.

Interview: Armin Gibis

Artikel 9 von 11