„Was löst das in der Gruppe aus?“

von Redaktion

Nach vielen Jahren erlebt DFB-Team wieder eine Diskussion um Rückholung alter Spieler

VON GÜNTER KLEIN

Leipzig – Natürlich wird auch dieser Tage in Leipzig diskutiert, ob Joachim Löw die Spieler, die er im Frühjahr 2019 aus der Nationalmannschaft hinauskomplimentiert hat, im Hinblick auf die Europameisterschaft 2021 wieder einladen soll. Thomas Müller, Jerome Boateng und Mats Hummels haben in Medien, bei Fans und auch unter Experten und Trainern eine Meinungslobby. Und vor allem Argumente: Sie sind ja ziemlich erfolgreich mit ihren Clubs FC Bayern und Borussia Dortmund.

DFB-Direktor Oliver Bierhoff sagt: „Es freut mich, wenn sie gute Spiele machen. Dennoch ist es absolut wichtig, dass Jogi den Weg weitergeht.“ Ohne die drei. Er möchte das ausführen. Also, zunächst: „Es ist keine Sturheit, dass man diese Spieler nicht zurückholt. Da ist auch nichts Zwischenmenschliches, da ist große Dankbarkeit.“ Man ist gemeinsam Weltmeister geworden, das verbinde für immer. Aber? „Wie macht man Spielern deutlich, dass man an sie glaubt“, sorgt Bierhoff sich um eine Wirkung auf die nun angesagten und sich entfaltenden Spieler, wenn plötzlich die alten Recken wieder am Tisch säßen? „Man müsste sich entscheiden, dass die Rückkehrer dann gesetzt sind. Was löst das für die Konstellation der Gruppe aus?“ Ziehen sich junge Spieler eingeschüchtert zurück, wird ihre Entwicklung blockiert? Brechen Grabenkämpfe aus, Generationenkonflikte?

Oliver Bierhoff hat miterlebt, wie vor der Weltmeisterschaft 1998 Berti Vogts dem öffentlichen Ruf nach einer Rückkehr von Lothar Matthäus, damals 38, entsprach. „Lothar“, stellt Bierhoff klar, „war ein Supertyp, er hat sich gut verhalten – dennoch hat das was mit der Mannschaft gemacht.“ Wichtige Spieler seien Alphatiere, Persönlichkeiten – und nicht immer passen sie zueinander. „Was hat es gebracht, wenn man Spieler zurückgeholt hat?“, fragt Bierhoff. Und sagt, er hätte da gerne eine historische Untersuchung.

Bitte.

WM 1958: Bundestrainer Sepp Herberger bittet den 54er-Kapitän Fritz Walter zurück. Die Titelverteidigung glückt nicht, obwohl Walter immer noch ein Topspieler und anerkannter Chef ist. Platz vier.

WM 1962: Herberger probiert es noch einmal bei Fritz Walter, der aber bereits 41 ist und auch in Kaiserslautern aufgehört hat. Der Bundestrainer blitzt ab. Deutschland scheidet im Viertelfinale aus.

WM 1978: Der DFB verbietet es Bundestrainer Helmut Schön, Akteure zu nominieren, die im Ausland spielen. Der CSU-Bundetagsabgeordnete Dionys Jobst versucht, ein Comeback von Franz Beckenbauer (Cosmos New York) auf politischem Weg zu erzwingen. Klappt nicht. Schön will den 1974 zurückgetretenen Weltmeister Jürgen Grabowski, der bei Eintracht Frankfurt seine Altersrolle als Regisseur gefunden hat, für sich gewinnen. Der fast 34-Jährige bleibt bei seinem Nein. Die WM missglückt.

WM 1982: Rebell Paul Breitner spielt nach mehrjähriger Pause wieder für den DFB. Die Mannschaft kommt ins Finale, das sie 1:3 gegen Italien verliert, Breitner schießt das Tor. Ein größerer Aktivposten soll er aber bei den Kartenspielabenden in der Vorbereitung am Schluchsee („Schlucksee“) gewesen sein. Das Comeback wird werblich von einem Rasierwasserhersteller begleitet. Breitner lässt sich den Bart abnehmen (das Honorar spendet er).

WM 1986: Mit Bernd Schuster, der sich mit Teamchef Beckenbauers Vorgänger Jupp Derwall überworfen hat? Der DFB lässt sich nicht auf Forderungen Schusters ein, man kommt nie mehr zusammen. Die Deutschen werden Vizeweltmeister.

WM 1994: Wer soll die Tore schießen? Berti Vogts überredet Rudi Völler zum Nationalmannschafts-Comeback. Völler spielt okay, doch Bulgarien köpft im Viertelfinale die DFB-Truppe raus.

WM 1998: Mit Lothar Matthäus – wie Oliver Bierhoff schilderte.

EM 2000: Thomas Häßler rutscht in den Kader. Zehn Jahre nach dem WM-Gewinn spielt er beim TSV 1860 in der Bundesliga noch forsch auf. Einen Platz in der Mannschaft, die die Vorrunde nicht übersteht, findet er nicht. Stefan Effenberg, von der WM 1994 heimgeschickt, ist nach einem Kurz-Comeback im Herbst 1998 zurückgetreten. Mit so eindeutiger Ansage, dass er kein Thema mehr wird.

WM 2006: Kurz vor der WM läuft eine bundesweite Petition, Altstar Mehmet Scholl als Joker ins Nationalteam zu holen. Bundestrainer Jürgen Klinsmann hört weg — wie auch im Fall Christian Wörns und Didi Hamann. Er hat schon Jens Nowotny zurückgeholt, aber nur für die Kadertiefe. Die WM wird ein Erfolg. Platz drei.

Seitdem gab es keine großen XY-muss-mit-zum-Turnier-Initiativen. Es waren die ruhigen und guten Jahre des deutschen Fußballs. 2018/19 endeten sie. Oliver Bierhoff versichert, er habe noch nicht gehört, dass in den Trainerrunden von Rückholaktionen die Rede gewesen wäre. „Momentan sehen wir noch keinen Handlungsbedarf.“

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