Finalgefühl zum Jahresabschluss

von Redaktion

Duell mit Spanien: Deutsche Teams gewinnen an Boden – Löw unter Druck

VON GÜNTER KLEIN

Sevilla/München – Der deutsche Fußball-Bundestrainer ist ein Mann mit Grundsätzen. Nie würde er sich vornehmen, auf Unentschieden zu spielen, auch wenn das ein zweckmäßiges und ausreichendes Resultat wäre. „Meine Maxime“, erläutert Joachim Löw, „ist es immer, ein Spiel so anzugehen, dass wir Chancen auf einen Sieg haben.“ Und so hält er es auch heute (20.45 Uhr/ARD) in Sevilla. Wobei das halt – auch für eine deutsche Nationalmannschaft – immer noch kühn klingt: bei den Spaniern gewinnen wollen.

In seiner über 14 Jahre andauernden Amtszeit als Bundestrainer hat Löw zwei traumatisierende Erlebnisse gegen Spanien gehabt. Das erste im Wiener EM-Endspiel von 2008. Sein erstes Finale ging 0:1 verloren. Michael Ballack trat mit malader Wade an (der letzte Test war auf dem Hotel des Flurs gewesen), auch Philipp Lahm war nicht ganz auf der Höhe, ihm entwischte in der 32. Minute Siegtorschütze Fernando Torres. Lahm wurde zur Halbzeit ausgewechselt.

Bei der WM 2010 wähnte Joachim Löw seine Mannschaft weiterentwickelt – bis zum Dämpfer im Halbfinale. 0:1, die Deutschen waren nur noch jung, aber kein bisschen mehr wild, sondern zahm. Allerdings fehlte Gelb-gesperrt Thomas Müller. Manuel Neuer war vor zehneinhalb Jahren in Durban bereits dabei, Toni Kroos wurde eingewechselt.

Jedenfalls: Die beiden Turnierniederlagen gegen Spanien haben Löw getroffen wie sonst nur das bei der EM 2012 vercoachte Halbfinale gegen Italien und die Pleitenvorrunde der WM 2018 in Russland. Spanien ist der Schatten, der Löw begleitet. Ihm fehlt der große Sieg gegen die Nation, die drei Titel in Folge holte (2008, 10, 12), eine unverwechselbare Form des Fußballs schuf (Tiki-Taka) – und die er nach wie vor in Ehren hält. Wann immer Löw Favoriten benennen muss – Spanien, derzeit Sechster der Weltrangliste, ist dabei. Löws eigenes Team steht lediglich auf Platz 14.

Grundsätzlich hat Deutschland aber Augenhöhe mit den Spaniern erreicht. Man kann die Statistik auch so drehen: Seit 2010 hat eine DFB-Elf nicht mehr verloren gegen die Iberer. Vor sechs Jahren gewann sie ein Freundschaftsspiel in Vigo mit 1:0 – es war eines der Löw’schen Experimentalspiele mit Akteuren wie Zieler, Rudy, Durm, Volland, Bellarabi, Kruse und Lars Bender. Hochklassig war der Schlagabtausch im März 2018 in Düsseldorf. Ein 1:1, das die Anwartschaft beider Seiten auf den WM-Titel in Russland untermauerte. Für 26. März 2020 war ein weiteres Treffen vereinbart, in Nürnberg. Corona kam dazwischen.

Aber man wurde durch die Nations League zusammengeführt. Ergebnis: 1:1. Für Löw unter den Umständen ein gefühlter Sieg. Im Rückblick: „Wir sind da bewusst Risiken eingegangen, das war Übung für die EM.“ Da muss er sich beweisen – denn DFB-Direktor Oliver Bierhoff deutet eine Bestandsaufnahme an („Den Weg des Bundestrainers gehe ich bis einschließlich der EM mit“). Löw bleibt gelassen („Oliver ich ich kennen uns in- und auswendig, jetzt ist kein Gesprächsbedarf“), heute will er „Organisation und Kompaktheit verbessern“ – und wenn man sich behaglich fühlt, „intuitiv umschalten, Mann gegen Mann spielen und was riskieren. Man kann die Gruppe gewinnen, ist einen Punkt vorne, „Eine erfreuliche Konstellation.“ Mit Finalgefühl.

Bei einem Erfolg, findet Manuel Neuer, „würde es ein paar kritische Stimmen weniger geben“. Sicher? In den Köpfen der Fans ist der spanische Fußball nicht mehr ganz so groß. Das Nationalteam seit acht Jahren ohne Titel, Real Madrids Glanz verblasst, der FC Barcelona im Champions-League-Viertelfinale von den Bayern 2:8 abgeschossen, Atletico Madrid mit 1:2 an Leipzig gescheitert. Deutschland wird zu Spaniens Schatten.

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