München – Die neue Art, sich mitzuteilen, ist digital. Das ist seit März, seitdem die Corona-Pandemie auch das Arbeitsleben bestimmt, in nahezu jedem Unternehmen so, und beim FC Bayern noch professioneller als bei vielen anderen. Virtuelle Meetings sind an der Tagesordnung; ab und an aber gibt es auch Videobotschaften aus der Vorstandsetage, die in Qualität an TV-Beiträge erinnern, mit Drehbuch. Erst zuletzt zu sehen war: Oliver Kahn.
Der Vorstand betritt den Raum, nimmt auf einem Stuhl Platz und wendet sich an die rund 1000 Mitarbeiter des Rekordmeisters. Er spricht ruhig, sachlich, aber durchaus authentisch, in freundschaftlichem Ton. Es ist ein Auftritt, der zeigt, wie Kahn, seit knapp einem Jahr im Amt, sein Wirken beim FC Bayern interpretiert: Er hat als Manager mit Erfahrung in der freien Wirtschaft das große Ganze im Kopf, will den Club für die Zukunft rüsten, dabei keinen einzigen Angestellten aus den Augen verlieren. Das „Mia san mia 2.0“ ist sein Anspruch. Und gleichzeitig auch ein Spagat, eine echte Herausforderung.
Genau ein Jahr ist es dieser Tage her, dass Kahn das erste Mal im Kreise der Führungsgarde des FC Bayern auftrat. Bei der Jahreshauptversammlung im Audi Dome – die diesjährige wurde Corona-bedingt ins kommende Frühjahr verlegt – drehte sich alles um den Abschied von Uli Hoeneß, Kahn allerdings war der heimliche Star dieses elendig langen Abends. Nach „Uli, Uli“-Sprechchören hörte man auch „Oli, Oli“-Rufe, von der Bühne scherzte Hoeneß in Richtung des ehemaligen Welttorhüters: „Da hast du viel Arbeit, um diese Vorschusslorbeeren zu rechtfertigen.“ Kahn schmunzelte, nahm diese Worte aber ernst. So wie die Mission, die er als Nachfolger von Karl-Heinz Rummenigge in rund einem Jahr an der Spitze des Triple-Siegers vorantreiben wird.
Das Corona-Jahr war freilich kein leichter Start, aber die Begleiterscheinungen spielten Kahn doch in die Karten. Bisher gegebene Interviews kann man an einer Hand abzählen, dafür wirkt er intern. Schon für die Corona-Strategie des Clubs – frühes Homeoffice, schnelle Vernetzung aller Mitarbeiter – zeichnete er verantwortlich, seit nunmehr einem halben Jahr treibt Kahn das clubübergreifende Strategieprojekt „FC Bayern AHEAD“ an. Ziel seines „Babys“, für das er ein achtköpfiges Projektteam zusammengestellt hat: sich auf dem Gipfel des Erfolgs selbst zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. In allen Bereichen der Beste sein zu wollen, das gehört zu Kahns Vita wie zur DNA des FC Bayern. Er setzt bei seinem Vorhaben auf Kommunikation und den Teamgedanken. Nach dem Motto: Mia alle san der FC Bayern.
Mehr als 1000 Mitarbeiter sind bei der AG, dem e.V. und in der Basketball-Abteilung angestellt. Knapp die Hälfte hat sich an der ersten Mitarbeiterumfrage beteiligt, die in den letzten Wochen lief. Freilich anonym ging es um Zufriedenheit mit dem FC Bayern als Arbeitgeber sowie der persönlichen Situation, Verbesserungsmöglichkeiten, Visionen, 20 bis 30 Minuten Zeit nahm sich jeder. Das Feedback war ehrlich, genau wie bei den Workshops, die Kahn mit Abteilungsleitern und Direktoren abhält. Es gibt nicht nur Jubelstürme, sondern auch wiederkehrende Kritikpunkte: Nicht allen langjährigen Mitarbeitern gefällt das interne Klima, die Zusammenarbeit unter den Abteilungen, die derzeitige Interpretation des „mia san mia“. Die Angst, dass der FC Bayern seine Wurzeln aus den Augen verliert, mit externen Kräften – Kahn hat einige ehemalige Unternehmensberater installiert und eine Agentur herangezogen – zu einem Wirtschaftskonzern wird, schwingt latent mit.
Das AHEAD-Team wertet die Ergebnisse aus, weitere Umfragen (u.a. zum Leitbild) sind geplant. Im kommenden Sommer dann soll das erarbeitete Konzept umgesetzt werden. Bis dahin wird der Fan Kahn weiterhin selten zu sehen bekommen. Was nicht heißt, dass er intern nicht trotzdem mitredet, wenn es um Transfers geht. Am Beispiel David Alaba aber konnte man sehen: Die öffentlichen Äußerungen überlässt er den handelnden Figuren (Rummenigge, Hasan Salihamidzic). In den Vordergrund rücken wird er früh genug.
Anfang 2022, mit einer klaren Strategie. Dann gibt es andere Aufgabenfelder, auch wenn Kahn sagt: „Für dieses Projekt gibt es kein Enddatum.“ Ein Endlos-Drehbuch.