München – Das war das Länderspieljahr 2020. Ein komisches Jahr, denn es bestand ja nur aus ein paar Monaten. Keine EM, keine öffentliche Präsenz von Januar bis August, der Bundestrainer eine Randfigur, die – bis auf ein paar Ausnahmen wie das DFB-Pokalfinale – auch nicht in den Stadien auftauchte. Alles war anders als je zuvor. Dennoch lässt sich eine Bilanz ziehen, immerhin acht Spiele (zwei Tests, sechs Partien der Nations League) lassen das zu.
Die Gewinner
Antonio Rüdiger: Jetzt nicht lachen, weil man vielleicht den einen oder anderen Stellungsfehler oder eine Tollpatschigkeit des Abwehrspielers vor Augen hat und weiß, dass er beim FC Chelsea im Grunde unten durch ist und verkauft werden soll. Doch in der Nationalmannschaft, die in stetig wechselnder Besetzung spielte, war er die Konstante: Sieben Mal dabei, immer in der Startelf, nur einmal ausgewechselt – und da führte die DFB-Elf noch (2:1 gegen die Türkei – Endstand 3:3). Das einzige Spiel, das er verpasste, war wegen einer Gelb-Sperre das 0:6 in Spanien – wo er mit seiner Kopfballstärke gefragt gewesen wäre. Von 16 Gegentoren, die die Nationalmannschaft 2020 einfing, war er bei nur acht auf dem Platz. Sensationsquote.
Kevin Trapp: Der Frankfurter hatte das einzige Zu-null-Spiel (gegen Tschechien) und stellte sich als Torwart beim ersten Match gegen Spanien (1:1) gar nicht dumm an.
Robin Gosens: Linksverteidiger-Option Nummer eins. Jonas Hector hörte auf, Nico Schulz fiel durch, Philipp Max erkannte gegen Spanien seine Grenzen, Marcel Halstenberg wird noch immer mit seinem Leipziger Kollegen Lukas Klostermann verwechselt, Thilo Kehrer ist zu oft verletzt, und Benjamin Henrichs hinterließ auch keine Empfehlung – womit alle Kandidaten, die Löw einsetzte, genannt wären.
Timo Werner: Weil er sich mit vier Toren den Mittelstürmerplatz sicherte.
Leon Goretzka: Einen solchen Kraft-Typen hat das Team keinen zweiten. Große Reichweite auf dem Feld, und mit dem Ball kann er auch was.
Die Verlierer
Julian Brandt: Wenn Löw einen Spieler schon mal öffentlich rüffelt. . . Der Hochveranlagte findet keine Konstanz.
Nico Schulz: Vor zwei Jahren der neue Linksverteidiger-Stern, Löw erinnert sich wehmütig an die Dynamik von Schulz noch 2019 in der EM-Qualifikation. Nichts mehr davon zu sehen, er schickte den Dortmunder nach Hause.
Kai Havertz: Verpasste zwei der drei Länderspielwochen – die erste wegen des Wechsels zum FC Chelsea, die letzte aufgrund einer Covid-19-Infektion. Von der prägenden Rolle, die ihm alle zutrauen, weiterhin entfernt.
Ilkay Gündogan: Bei fünf der acht Spiele dabei, eine gute Quote; ohne Corona hätte er nie gefehlt. Doch gegen Spanien kam erbärmlich wenig von ihm. Vom ARD-Experten (und ehemaligen Mittelfeldpositionsrivalen) Bastian Schweinsteiger stark kritisiert und nicht in „Bastis EM-Wunschelf“ aufgeführt.
Jonathan Tah: Schon fünf Jahre dabei – und es ist nicht zu sehen, dass er irgendwas besser könnte als ein anderer.
Marco Reus: 34 Spieler setzte Löw in den acht Partien ein, Marco Reus wurde gar nicht erst eingeladen, er kam auch wieder aus einer längeren Pause, und es stellt sich die Frage, ob er nicht stillschweigend in Vergessenheit gerät.