Ist Joachim Löw noch eine Bank?

von Redaktion

Ab jetzt geht es auch um den Bundestrainer – Krisensitzung in München

VON GÜNTER KLEIN

Sevilla/München – Und mit einem Mal war Joachim Löw in eine andere Welt katapultiert. Er saß da unter dem frischen Eindruck des 0:6 gegen Spanien am Dienstagabend im Stadion von Sevilla, zugeschaltet waren per Zoom die deutschen Reporter – und gestellt wurde die Frage: „Herr Löw, müssen Sie denn um Ihren Job fürchten?“

Es ist eine Bundesliga-, aber keine Nationalmannschaftsfrage. Als Bundestrainer ist man von Turnier zu Turnier quasi verbeamtet, Löw, seit 16 Jahren beim Deutschen Fußball-Bund, seit 14 Jahren in leitender Position, sowieso. Beim DFB denken sie in großen Zyklen, die nächste WM, das nächste Turnier, das wir ausrichten – die Bewährungsprobe liegt immer in der Zukunft. Doch ein 0:6 kann das alles verändern. Auch die Antwort: Joachim Löw kontert die Bundesliga-Frage mit einer Bundesliga-Entgegnung: „Ob ich Angst um meinen Job haben muss, muss man andere fragen.“

Nach der WM 2018 hat man ihn noch gefragt: Möchtest du weitermachen, lieber Jogi? Wir können uns keinen besseren Bundestrainer vorstellen. Vor dem letzten Gruppenspieltag in der Nations League sagte Oliver Bierhoff, der Direktor Nationalmannschaften, beim DFB in der FAZ, dass Löw „sich an Ergebnissen messen lassen muss“, dass der eingeschlagene Weg der Verjüngung ein guter sei „und ich diesen Weg bis zur EM mitgehe“. Löw, mit Vertrag bis 31. Dezember 2022 (und nicht 31. Juli 2021) ausgestattet, hatte darauf gelassen reagiert: Es sei normal, „dass man nach einem Turnier analysiert“. Mit Bierhoff müsse er jetzt auch nicht diskutieren über die Zwischentöne der Aussage: „Der Oliver und ich, wir kennen uns in- und auswendig. Wir haben ein absolutes Vertrauensverhältnis.“

Es ist ein Stück wahrscheinlicher geworden, dass es den Bundestrainer Löw nach der EM 2021 nicht mehr geben wird. Ein Titelgewinn könnte den Anreiz bieten, die Karriere mit einem „Danke, alles erreicht“ zu beschließen. Doch naheliegender als der Gedanke an den großen Erfolg ist der ans Scheitern. Es war ja keine Experimental-Elf, die in Sevilla 0:6 verlor. Mit Welttorhüter Neuer, mit Stratege und Filmstar Kroos, mit dem Turbo-Sturm Sané, Gnabry, Werner. Zwar ohne den verletzten Joshua Kimmich, aber mit fünf Spielern des FC Bayern. Sie erlebten nun das, was sie in der Champions League im August dem FC Barcelona zugefügt hatten (8:2) oder waren nahe an dem, was Schalke zum Bundesligaauftakt in München erleben musste (0:8). Ein unfassbarer Rollentausch.

Folge eines „rabenschwarzen Tages“ (Löw), eines übervollen Länderspielprogramms (acht Partien in gut zwei Monaten), eines end- und erfolglosen Außen- und Innenverteidiger-Castings? Oder fehlt einfach ein Impuls? Durch einen Trainerwechsel – oder durch ein Zeichen des Trainers. Er kommt dem Thema Müller/Hummels/Boateng nicht aus, nun sagt auch Manuel Neuer in der „Sport-Bild“ über die früheren DFB-Mitstreiter: „Sie könnten uns grundsätzlich helfen.“ Mit Mario Götze drängt ein weiterer der 2014er-Weltmeister zurück. Löw sieht „keine Qualitätsfrage der einzelnen Spieler“ bei seiner jetzigen Mannschaft, das Vertrauen sei „nicht richtig erschüttert. Im Hinspiel gegen Spanien (1:1, d. Red.) haben wir gezeigt, dass wir es besser können.“

Doch Löw weiß, „dass ein Turnier wie die EM kein Vorbereitungsturnier auf ein anderes Turnier sein kann“, und wenn in der DFB-Spitze die Furcht wächst, dass Löw die EM in den Sand setzt, könnte zuvor interveniert werden. Es wäre für den DFB jetzt auch erschwinglicher als vor zweieinhalb Jahren, den Vertrag zu beenden.

Oliver Bierhoff sagt, dass das Vertrauen in Löw „vollkommen da ist, daran ändert dieses Spiel nichts“. Sie haben 2018 beschlossen, es gemeinsam nochmals anzupacken. Doch Bierhoff ist nicht mehr der Teammanager und Sidekick, als der er 2004 anfing, sondern ein hohes Tier im DFB: Direktor, Akademiechef, derjenige, der die große Linie vorgibt. Er wird, weil er Verantwortung trägt, womöglich bald eine Bundesliga-Entscheidung treffen müssen. Aber noch nicht jetzt: Bei einer Krisenrunde mit DFB-Präsident Fritz Keller, Löw und Assistent Marcus Sorg am Flughafen München wurde beschlossen: Es geht weiter.

Artikel 1 von 11