Berchtesgaden – 1800 Meter hoch über dem Königssee, auf der urigen „Jenneralm“, sollte die Ära des Sportlers und Funktionärs Josef „Sepp“ Fendt ausklingen. Das Finale einer 50 Jahre dauernden beispielhaften Karriere, zu dem der Berchtesgadener die Vertreter der 52 Mitgliedsländer des Rodel-Weltverbandes FIL noch einmal versammeln wollte. Zuerst beim Jahres-Kongress, auf dem an diesem Freitag sein Nachfolger gewählt wird, danach auf dem Jenner-Gipfel, um zünftig „Servus“ zu sagen.
Doch beides entfällt: Corona kennt keine Nachsicht. Die Versammlung findet nun „online“ statt, als Videokonferenz. Vielleicht schaltet sich auch IOC-Präsident Thomas Bach dazu, um dem 73-jährigen Oberbayern für die Olympische Familie Dank zu sagen. Sein persönlicher Freund, der FIL-Präsident, übergibt nach 26 Jahren einen Musterverband, der ein guter Partner des IOC war.
Man erinnert sich: 1994, kurz vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Lillehammer, hatte Fendt den Weltverband von jetzt auf gleich übernehmen müssen. Dessen Präsident, der österreichische Schuldirektor und Hobbymaler Bert Isatitsch, war, wenn auch schon 82, überraschend gestorben. Er hatte die FIL 1957 gegründet, sie 1964 olympisch gemacht, war 37 Jahre lang ihr elitärer richtungweisender Kapitän gewesen; Fendt sein Kronprinz für die Nachfolge.
Doch der Reihe nach. Mit dem Schlitten war Fendt schon als Kind von Salzberg in die Schule gefahren. Rennrodeln richtig gelernt hat er dann beim RC Berchtesgaden, dem heute erfolgreichsten Rodelclub der Welt. Altmeister Hans Plenk war sein Vorbild. Der war Olympiadritter 1964 und Weltmeister 1965 gewesen und führte den jungen Burschen auch in die Kunst des „Wachselns“ ein. So nannte man das Schnellmachen der Kufen. Fendt glitt auf ihnen zu zwei Weltmeistertiteln, 1970 und ‘74, damals auf der „1 .Kunsteisbahn der Welt“ am Königssee, zu vier Deutschen Meisterschaften und Olympiasilber 1976 in Innsbruck.
„Das war vielleicht der schönste Moment meiner Karriere“, sinniert Fendt 44 Jahre später, „weil Olympia so einmalig ist“. Fügt hinzu: „Wir wurden damals auch verspottet: wie kommt’s ihr denn daher, witzelte die Konkurrenz, weil wir so ungewöhnliche gelbfarbene Eierhelme trugen und unsere Schlitten so etwas wie eine Heckflosse aus Plastik hatten, einen Spoiler. Konstruiert vom Münchner Flugzeugwerk MBB. Sie brachten uns kleine aerodynamische Vorteile.“ Und drei Medaillen ! Neben Fendt, Silber auch für das Doppel Brandner/Schwarm und Bronze für Elisabeth Demleitner.
Nach Innsbruck war Schluss mit Wettkampfsport. Der Amateur Fendt dachte an seine berufliche Zukunft. Berchtesgaden bot sie ihm. Als Diplom-Verwaltungswirt und Geschäftsleiter der Marktgemeinde ging er viele Jahre später in den Beamten-Ruhestand.
Das Rodeln aber ließ ihn nie los. Im Ehrenamt diente er dem deutschen Verband 13 Jahre lang u.a. als Sportwart, parallel dazu auch dem Weltverband. So verdienstvoll, dass Präsident Isatitsch ihn schon 1985 zum 1. Vizepräsidenten auserkor.
Im Winter 1994 übernahm Josef Fendt, den sie alle nur Sepp nennen, dann das FIL-Ruder selbst. Alle Mitgliedsländer stimmten für ihn. Die Bilanz 26 Jahre später: die Familie der Rodler ist auf 52 Nationen angewachsen. Sie ist professionell aufgestellt, mit zahlreichen ehemaligen Meisterrodlern in leitenden und beratenden Funktionen; sie hat verlässliche Sponsoren-Partner, die sich freuen, dass unter Fendt Weltcup und Meisterschaften einen festen Fernsehplatz haben. Die TV-Präsenz ist gestiegen.
Fendt und Team haben zudem die Palette der Disziplinen erweitert (um Sprint und Damendoppelsitzer), haben es mit der attraktiven Teamstaffel sogar ins olympische Programm geschafft. Ohne Erhöhung der Teilnehmerzahl. Rodeln ist im IOC verankert als eine von sieben Winter-Kernsportarten.
Fendt wird auch als Präsident der Weitsicht und Fürsorge in die Annalen eingehen. So sorgt die FIL mit einem Unterstützungsprogramm dafür, dass auch die kleinen Nationen, die im Schatten der Großen stehen, sich weiterentwickeln und der Rodelfamilie erhalten bleiben.
Ganz oben bei seiner Arbeit stand stets das Thema Sicherheit für alle inzwischen 17 Kunsteisbahnen der Welt. Die jüngste, für Peking 2022, wurde gerade „abgenommen“. Höchsten Standard fordert der scheidende Präsident auch für die Zukunft. Nicht immer konnte das erfüllt werden. So trauerte die Sportwelt 2010, am Tag der Eröffnung der Winterspiele von Vancouver/Whistler, um den georgischen Rodler Kumaritaschwili, der im Abschlusstraining tragisch verunglückt war.
Sepp Fendt beendet seine siebte Wahlperiode als FIL-Präsident vorzeitig; doch das hatte er angekündigt, „aus ganz privaten Gründen“. Er wolle nicht zu spät ins Privatleben zurückkehren, sondern zu einer Zeit, wo er mit Ehefrau Renate, Tochter Christina und Freunden noch Bergtouren machen und Skifahren kann. Doch:“ganz aus dem Rodeln verschwinden werde ich bestimmt nicht“.
Das Feld der FIL-Zukunft hat er nach bestem Wissen bestellt. Sein Nachfolger wird Einars Fogelis heißen, ein Lette, 60 Jahre, Ingenieur und Sozialwissenschaftler, Präsident des Rates Lettischer Sportverbände und – seit 30 Jahren dem Rennschlittensport verschrieben, derzeit als Generalsekretär der FIL, also im zweithöchsten Rang nach dem Präsidenten.
Auch wenn das Resultat der erstmaligen Online-Wahl eines FIL-Präsidenten noch aussteht, die Delegierten werden Fendts Vorschlag folgen und mit Einars Fogelis in eine neue Ära aufbrechen. Der Lette, ein Moderator ähnlich Fendt, wird neue Impulse geben; doch für das Erbe, das ihm sein Vorgänger übergibt (Fundament und Struktur der FIL), wird er dankbar sein … wie alle, die Josef Fendt in den letzten 26 Jahren begegnet sind – Sepp, dem Rodel-Präsidenten mit Herz.