Salzburg – Der FC Bayern kann heute (21 Uhr, Sky) mit einem Sieg gegen den FC Salzburg vorzeitig das Ticket für Champions-League-Achtelfinale buchen – doch ein Mann möchte das verhindern: Jesse Marsch (47). Der US-Amerikaner ist seit Sommer 2019 Coach des österreichischen Meisters. Sein Name fällt inzwischen immer öfter, wenn einer von Europas Top-Clubs einen neuen Trainer sucht. Warum?
„Jesse verkörpert Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Ambition und weiß das auf sein Team zu übertragen“, sagt Leonard Stolz (29). Der Münchner muss es wissen: Nach fußballerischer Ausbildung beim SV Pullach und beim TSV 1860 ging Stolz in die USA, schaffte nach zwei College-Stationen schließlich den Sprung zu den New York Red Bulls. Sein Trainer dort? Ein gewisser Jesse Marsch.
Nach 14 Jahren in der Major League Soccer (MLS) und zwei Kurzeinsätzen für die Nationalmannschaft beendete Marsch 2010 die aktive Karriere und wurde Co-Trainer der amerikanischen Auswahl. Der geradlinige Karriereweg nahm im November 2012 eine erste Kurve: Marsch hatte 2011 den Chefposten bei Montreal Impact übernommen, nach nur zwölf Siegen in 36 Partien trennten sich die Wege. Der dreifache Vater wollte Abstand vom Fußballgeschäft gewinnen, machte mit seiner Familie eine Weltreise. Sechs Monate, 32 Länder, vor allem Südostasien. Marsch sagte den Salzburger Nachrichten: „Ich habe in dieser Zeit gelernt, dass es viel wichtigere Dinge als Fußball gibt und ich mir nicht mehr so viel Stress machen darf.“
Nach der Auszeit nahm der Mann aus Wisconsin einen neuen Anlauf. Erst Co-Trainer an der Princeton University, dann der große Schritt zu den New York Red Bulls. Dass Vorgänger Mike Petke bei den Fans äußerst beliebt war und die Altstars Thierry Henry und Tim Cahill den Club verlassen hatten, ließ Marsch kalt. Sein damaliger Spieler Stolz erzählt: „Jesse hat sich von den externen Umständen wenig beeinflussen lassen und ein Team geformt, dass die von ihm angedachte Spielweise umgesetzt hat.“ Er wurde 2015 zum Coach des Jahres in der MLS gewählt.
Die Marsch-Route ist bis heute die gleiche geblieben: schnelles, mutiges Pressing. Salzburg formiert er dazu meist in einem 4-2-2-2-System. Nach drei Jahren in New York wagte Marsch den Schritt nach Übersee. Innerhalb des RB-Fußball-Imperiums ging er nach Leipzig, agierte dort als Assistent von Ralf Rangnick. Als Marco Rose im Sommer 2019 den Chefposten in Salzburg räumte, trat Marsch das Erbe in der Mozartstadt ab. In seiner ersten Saison sorgte der US-Coach mit den Salzburgern gleich für Aufsehen. Nicht etwa mit dem quasi obligatorischen nationalen Double, sondern mit furiosen Auftritten in der Champions League. 6:2 und 4:1 gegen Genk, dazu das legendäre 3:4 gegen Liverpool. In der Halbzeitpause damals – beim Stand von 1:3 – hielt Marsch eine Ansprache. „Es ist nicht ein fucking Freundschaftsspiel“, tobte er.
Seine Truppe verstand, lieferte Liverpool einen harten Fight – das blüht heute auch dem FC Bayern. Und wann zieht Marsch weiter? Der Amerikaner steht in Salzburg noch bis 30. Juni 2022 unter Vertrag, den Sprung zu einem Topclub traut Ex-Spieler Stolz ihm allemal zu: „Wenn er die Chance bekommen würde, würde er dort Erfolg haben, davon bin ich überzeugt.“ JONAS AUSTERMANN