München – Eigentlich hätte Thomas Dreßen gerade seine letzten Trainingsfahrten in Copper Mountain absolviert und würde sich nun mit den Kollegen aus dem deutschen Abfahrtsteam auf den Heimflug vorbereiten. Der 27 Jahre alte Skirennläufer vom SC Mittenwald ist jedoch schon sechs Tage früher als geplant aus Colorado zurückgekehrt. „Das ist eine blöde Situation“, sagt er in einer Videobotschaft. Dreßen sitzt an einem Holztisch daheim im oberösterreichischen Scharnstein und erzählt von seiner Hüftblessur, von der er noch nicht so genau weiß, wie lange sie ihn in diesem Winter davon abhalten wird, Skirennen zu fahren. Heute muss er sich in München einem athroskopischen Eingriff unterziehen, bei dem ein freier Gelenkskörper in der Hüfte entfernt wird. „Während der OP wird geschaut, was sonst noch alles gerichtet werden muss“, sagt Dreßen. Danach richte sich, wie lange er pausieren müsse.
Dass er bei den ersten Saisonrennen der Schnellfahrer Mitte Dezember in Val d’Isere dabei sein kann, ist jedoch fast ausgeschlossen. Denn unabhängig von Schwere und Umfang des Eingriffs wird Dreßen anschließend erst einmal ein Rehaprogramm absolvieren müssen. „Der Zeitfaktor“, sagt Cheftrainer Christian Schwaiger, der sich gerade mit der Technikgruppe auf den morgigen Parallelriesenslalom in Zürs vorbereitet, spiele keine Rolle. „Primär geht es um die Gesundheit.“
Dreßen kennt sich aus mit schweren Verletzungen und mit Comebacks. 2018 hatte er sich bei einem Sturz in Beaver Creek eine komplexe Knieblessur mit einem Kreuzbandriss sowie eine Schulterluxation zugezogen. Sein Aufstieg, der gut zehn Monate zuvor mit dem sensationellen Triumph auf der Streif in Kitzbühel begonnen hatte, war damit erst mal jäh gestoppt. Er musste einen kompletten Winter pausieren, kam dann aber famos zurück: mit einem Triumph im Comeback-Rennen. Zwei weitere folgten in Garmisch-Partenkirchen und Saalbach. Drei Weltcupsiege in der Abfahrt gelangen im vergangenen Winter keinem anderen Athleten.
Er nimmt den Rückschlag ein Jahr nach seinem famosen Comeback gelassen. „Ich habe mich eigentlich schon darauf gefreut, dass ich mich jetzt auf Val d’Isere vorbereite. Aber die Situation ist jetzt so, wie sie ist, und das heißt, sie zu akzeptieren.“ Die Hüfte bereitet ihm schon seit mehr als zwei Jahren immer wieder Probleme, bisher habe man die aber stets „durch Behandlung in den Griff bekommen“, sagt er. Physiotherapie, Schmerztabletten, notfalls Spritzen. Aber im Trainingslager in Copper Mountain, wo sich die deutschen Abfahrer seit 8. November auf die Weltcup-Saison vorbereitet hatten, habe er es „von den Schmerzen her nicht mehr ausgehalten“. Dreßen entschied, frühzeitig abzureisen und unterzog sich nach der Rückkehr am Montag in München einer MRT-Untersuchung, „weil ich wissen wollte, was Stand der Dinge ist“ mit der Hüfte.
Dabei war es für den Zweiten im Abfahrts-Weltcup in der Vorbereitung lange sehr gut gelaufen. Schulter und Knie bereiteten keine Probleme, anders als im Herbst und auch Winter davor. Da musste er immer wieder mal kürzertreten. Und auch körperlich war Dreßen topfit, als es zu den ersten Lehrgängen auf Schnee ging. „So viel Zeit für Konditionstraining wie in diesem Jahr habe ich noch nie gehabt“, erzählte er Anfang November.
Den Deutschen Skiverband würde ein längerfristiger Ausfall seines besten Abfahrers schwer treffen. Nach dem Rücktritt von Viktoria Rebensburg ist Dreßen der einzige Athlet im Alpin-Team, der konstant unter die besten Drei fahren kann. Außerdem gilt er als Medaillenkandidat bei der Weltmeisterschaft im Februar in Cortina d’Ampezzo. „Ich werde alles dafür tun“, versprach er, „dass ich stark zurückkomme.“ Wenn nicht noch in diesem Jahr, dann ganz sicher im nächsten.