München – Das Lazarett an der Säbener Straße füllt sich, die Englischen Wochen fordern ihre Opfer. Nimmt die Verletztenflut gar kein Ende mehr? Unsere Zeitung hat dazu Oliver Schmidtlein, 55, befragt, den früheren Physiotherapeuten des FC Bayern und der Nationalmannschaft.
Herr Schmidtlein, sind es zu viele Spiele aktuell?
Für manche schon, ja. Die Belastung ist enorm aktuell. Sie ist so hoch, dass man sie auch nicht mehr durch verstärkte Regenerationsmaßnahmen auffangen kann. Schlaf und Erholungszeit sind ausschlaggebend, aktuell ist diese Zeit aber Mangelware.
Welche Rolle spielen hier Kältekammern etc.?
Setzt man diese Instrumente regelmäßig ein, bringen sie was. Der Körper muss das alles allerdings gewohnt sein, ehe er davon profitieren kann. Dasselbe gilt übrigens für Massagen. Daher können im Prinzip nur jene Maßnahmen intensiviert werden, die ohnehin schon länger betrieben werden.
Bis auf die einwöchige Winterpause ist kein Ende der Belastungen in Sicht. Befürchten Sie, dass es noch viel mehr Spieler erwischt?
Danach sieht es aus. Zwei Dinge sind hier festzuhalten: Zunächst wird die Breite eines Kaders eine tragendere Rolle spielen als je zuvor, auf der anderen Seite gibt es aber gewisse Spieler, die nicht zu ersetzen sind. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt – viele Spieler werden aber auch weiterhin jedes Spiel machen müssen. Andere wiederum werden öfter die Chance bekommen zu pausieren. So wird man sich durch diese Zeit hangeln müssen.
Auch der Druck, weiterzuspielen zu müssen, um seinen Stammplatz nicht zu verlieren, dürfte nicht außer Acht gelassen werden.
In der Tat. Gerade beim FC Bayern spüren die Spieler Leistungsdruck, in Hansi Flick haben sie jedoch einen Trainer, der diesen Konkurrenzkampf optimal moderiert. Ich habe schon den Eindruck, dass sich unter ihm ein jeder wichtig fühlt.
Ist auch mentale Ermüdung mit Blick auf die Verletzungen entscheidend?
Es entsteht aktuell eine gewisse Monotonie im Leben eines Profifußballers. Es wird nur trainiert und gespielt – und das seit Monaten. Es gibt keine Sponsorenevents, keine Ablenkung. Auch privat können die Stars im Prinzip nirgends hin. Das geht uns natürlich allen so im Moment, bei einem Profifußballer wird dieser Trott aber für alle ersichtlich, wenn er seine Leistung nicht abruft. Ein Spieler muss auch psychisch regenerieren, eine Balance zwischen Fußball und Privatleben finden. Angesichts des eng getakteten Spielplans ist das jedoch nicht möglich. Und diese Eintönigkeit, in gewisser Weise auch Überfokussierung auf den Fußball, kann ebenfalls Vorbote von Verletzungen sein.
Fachpersonal wie Sie ist da wichtiger denn je, oder?
Definitiv, gerade hier profitiert aber der FC Bayern von seiner Manpower in diesem Bereich. Sie erlaubt es dem Club, auch 23 Spieler engmaschig und parallel zu betreuen. Hinzu kommt, dass Flick das sehr gut angepackt hat, sodass alle miteinander kommunizieren und ein Rädchen ins andere greift – seien es Ärzte, Fitnesstrainer oder Therapeuten. Alle entscheiden im Team und Flick, den ich noch von meiner Zeit beim DFB kenne, koordiniert das wie kein anderer. Er war auch damals unser Ansprechpartner Nummer eins, sozusagen die Schnittstelle. Deswegen kennt er sich auch so gut aus. Dass er hier und da auch mal lobende Worte für einen hat, fördert die Motivation ungemein. Er weiß, was Wertschätzung bedeutet. Deswegen fällt es einem leichter, in so einer Zeit auch mal die ein oder andere Extraschicht einzulegen.
Interview: José Carlos Menzel López