Psst, nicht weitersagen: Leon Draisaitl, der Sportler des Jahres, hat in 2020 gar nicht so oft gespielt. Im Januar halt, im Februar, ein paar Tage noch im März, bis in der NHL wie in vielen Ligen weltweit der Betrieb eingestellt wurde. Und im August, als im nordamerikanischen Eishockey die Saison zu Ende gebracht wurde, war das für Draisaitl und die Oilers ein kurzes Vergnügen: Aus in der Playoff-Qualifikation. Dennoch war er der logische Sportler des Jahres 2020.
Wer einen Zettel zur Abstimmung bekommen hatte, merkte schon: 2020 war diese traditionsreiche Wahl ganz anders. Nicht fünf Kandidaten pro Kategorie (Sportlerin, Sportler, Mannschaft) sollte man benennen, sondern nur drei. Weil in einem Jahr, in dem es über Monate keinen Wettkampfsport gab, sich kaum jemand über das klassische Kriterium Leistung und Medaillen- oder Titelgewinn (schließlich wäre Olympia gewesen) aufdrängen konnte. Nur im Mannschaftssport ging das noch, weil in einer beispiellosen terminlichen Kraftanstrengung und organisatorisch gestrafft noch vieles untergebracht wurde. Mehr als die Bayern-Fußballer kann man nicht leisten, sie hätten sich auch gegen einen mit Gold dekorierten Ruder-Achter durchgesetzt.
In der Corona-Not hat die Sportlerwahl neue Horizonte eröffnet. Bislang war sie – oft zurecht – der Kritik ausgesetzt, sie würde nur Ergebnisse aus Tabellen spiegeln, und dabei bliebe unbeachtet, unter welchen Umständen eine Leistung vollbracht würde. Nun wurde auch auf anderes geachtet: Auf die gesellschaftliche Haltung der Weitspringerin Malaika Mihambo, auf Mutmachaktionen wie den Daheim-Triathlon von Jan Frodeno (als Gegenprogramm zu einigen einstigen Sportstars, die sich in der Coronakrise gehörig verschwurbelten), auf die Bodenständigkeit des Tennisdoppelspielers Kevin Krawietz, der einen 450-Euro-Job im Supermarkt annahm.
Auch die Wahl Draisaitls ist ein großer Moment für die Sportlerwahl. Honoriert wurde ein Werk, das nicht das einer einzigen Saison ist, sondern einer Karriere, die für einen Deutschen unerreichbar schien. Außerdem präsentiert sich Leon Draisaitl als Athlet, der um seine individuelle Leistung kein großes Gewese macht, sondern die Mannschaft in den Mittelpunkt stellt. Dass er ein guter Typ ist, darauf hat dieses Jahr den Blick freigegeben. Es war nicht alles schlecht 2020.
Guenter.Klein@ovb.net