München/Edmonton – Christian Künast, der Sportdirektor des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), muss derzeit verhandeln wie ein Politiker. Seine Ansprechpartner sind die kanadische Provinz Alberta, der nationale Verband Hockey Canada und die International Ice Hockey Federation. Künast feilscht um jeden Tag, an dem die meisten Spieler der deutschen U 20-Nationalmannschaft früher aus der Hotelzimmerquarantäne entlassen werden. Acht Spieler waren nach Ankunft vor gut einer Woche positiv getestet worden, zudem neuerdings ein Betreuer. Wenn man in die Weltmeisterschaft schon mit einem zunächst reduzierten Kader gehen muss, dann bitte mit mehr als einem Teamtrainingstag. Genehmigt wurde bislang nur der Heiligabend, und am ersten Weihnachtsfeiertag soll schon gespielt werden. Gegen Finnland. Am zweiten gegen Kanada.
Unter den Umständen – Deutschland ist die einzige Mannschaft mit Covid-19-Fällen – droht das Turnier, das für etliche Akteure der Höhepunkt ihres bisherigen Eishockey-Lebens ist, zum Desaster zu werden. Voriges Jahr schaffte man als Aufsteiger in die A-Gruppe den Klassenerhalt, die Fachwelt staunte in Tschechien über Verteidiger Moritz Seider, der schon einen NHL-Vertrag hatte, und die Draft-Aspiranten Tim Stützle. Lukas Reichel und John-Jason Peterka. 2020/21 ist die WM in Edmonton, an einem Sehnsuchtsort des Eishockeys – und die Mannschaft wohl schwächer: Seider bekam keine Freigabe, Reichel musste wegen einer Corona-Infektion in Deutschland bleiben, Stützle kommt aus einer Armverletzung. Dazu die mental belastende Einzelquarantäne, die für die meisten keine Treffen und nur Online-Training auf den Zimmern zulässt.
Man hatte Zeit genug, sich die Sinnfrage zu stellen – und sie zu beantworten. „Eine U 20-WM in Kanada ist ein Event und für viele eine einmalige Gelegenheit“, meint Künast. „Solange gesundheitlich alles in Ordnung ist, halte ich es für vertretbar, die WM durchzuführen.“ Trainer Tobias Abstreiter erzählt von einem Gespräch mit einem ehemaligen Spieler. „Die Message, die ich da bekommen habe, lautet: Das hier sind lauter eishockeyverrückte Menschen. Die WM bringt für jeden ein Stück Normalität zurück.“ Und wenn’s nur übers Fernsehen ist, denn Zuschauer in der Halle darf es nicht geben.
Außerdem schaut man – gerade in Edmonton – auf die Deutschen. Wegen Oilers-Star Leon Draisaitl. Der hat sich bei den auf ihren Zimmern festsitzenden Landsleuten über Videocall gemeldet. „Supercoole Geste von ihm“, findet Kapitän Tim Stützle, der Nummer-drei-Pick der NHL (Ottawa). Er muss aber lachen, wenn er an das virtuelle Treffen mit Draisaitl denkt: „Die Jungs waren zu schüchtern, um ihn was zu fragen.“
Stützle selbst nicht. Kann sein, dass er nach der Junioren-WM gleich direkt weiterreist nach Ottawa: „Unterschrieben ist noch nichts, aber ich will da nächstes Jahr spielen.“ J.J. Peterka, zuletzt ausgeliehen von München nach Salzburg („Hat mir gut getan“), wird auf alle Fälle nach der WM „zurück nach München fliegen und dann schauen, wann das Camp von Buffalo ist“. Die Sabres haben ihn gedraftet. Peterka durfte dieser Tage schon aus dem Zimmer und aufs Eis. Er hatte die Infektion bereits in Salzburg durchgemacht.