Ruhepol und Vulkan

von Redaktion

Karl Geiger und Markus Eisenbichler lassen den DSV mehr denn je vom Tourneesieg träumen

VON PATRICK REICHELT

Oberstdorf – Am Morgen danach ließ Karl Geiger den Blick noch einmal von der Terrasse des Teamhotels in Tiefenbach in Richtung der Stätte seines Triumphs schweifen, ehe er sich auf den Trip in Richtung Garmisch-Partenkirchen machte. So richtig verstanden hatte er immer noch nicht, was sich da am Abend zuvor abgespielt hatte: „Es ist absolut überwältigend.“

Zehn Tage lang war in der Corona-Quarantäne auch nur der Start bei der Vierschanzentournee ganz weit weg gewesen. Und nun stand er gleich beim Auftaktwettbewerb ausgerechnet auf seiner Heimschanze ganz oben auf dem Siegertreppchen.

Welche Schlüsse man daraus nun für den weiteren Verlauf des Turniers ziehen wollte – Geiger gab sich da noch zurückhaltend. „In Oberstdorf hat noch keiner die Tournee gewonnen“, sagte er, „aber wenn es so weitergeht, dann nehme ich die Favoritenrolle gerne an.“

Es ist wohl genau diese Mischung aus Ruhe und Selbstbewusstsein, die Geiger in die so verheißungsvolle Position gebracht hat. Der 27-Jährige ist keiner (mehr), der sich von Nebengeräuschen aus der Bahn werfen ließe. So flog er aus der zehntägigen Babypause direkt zu WM-Gold in Planica und so rauschte er nun aus der Corona-Quarantäne zurück in den Kreis der heißen Tournee-Favoriten.

Wobei an Tagen wie in Oberstdorf deutlich wird, wie stark sich Geiger damit von seinem Kumpel und Mitvorflieger Markus Eisenbichler unterscheidet. Hier der Allgäuer Ruhepol, dort der Vulkan aus Oberbayern. Man hat das schon am Tag der letztlich bedeutungslosen Qualifikation sehen können, als Eisenbichler gegen die Organisation wütete. Tags darauf zeigten sich die beiden Seiten des Mannes, den auch Bundestrainer Stefan Horngacher als „Instinktspringer“ bezeichnete, auf der Schanze. Dem völlig vermurksten ersten Versuch, ließ er eine 142-Meter-Explosion folgen, mit der er sich als Tages-Fünfter vor der morgigen zweiten Tournee-Etappe beim erstmals ohne Publikum ausgetragenen Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen (14 Uhr/ARD und Eurosport) zumindest im Kampf um den Gesamtsieg hielt. Wobei Eisenbichler auch mit Kampffrisur, die er einem eingeschränkt erfolgreichen Haarschneideversuch seiner Freundin verdankte, keine Kampfansage an die Konkurrenz schickte. Im Gegenteil, der Siegsdorfer, der etwa neun Meter Rückstand in die ausstehenden sechs Tourneesprünge mitnimmt, ordnete sich voll dem Sieger von Oberstdorf unter: „Jetzt heißt es, alles für den Karl tun, dass er da oben bleibt.“

Hier der ruhige Analytiker Geiger, dort der Bauchmensch Eisenbichler. Glaubt man Bundestrainer Stefan Horngacher, dann könnten es genau diese Gegensätze sein, die die beiden nicht nur zur sportlichen Doppelspitze sondern auch zu Kumpels machen. „Vielleicht verstehen sie sich deswegen so gut“, sagte der Tiroler. In Vor-Corona-Tagen teilten sich die beiden auf Reisen ja schon seit längerer Zeit das Zimmer. Dass es nun anders ist – seit Beginn der Pandemie logiert der Deutsche Skiverband mit seinen Sportlern aus Gründen des Infektionsschutzes ja in Einzelzimmern – ist nicht zuletzt auch für Geiger noch gewöhnungsbedürftig: „Es fehlt etwas.“

Dem Bundestrainer kann es nur zu recht sein, solange seine beiden Spitzenkräfte so gut funktionieren. Denn der Traumstart von Geiger und Eisenbichler überdeckte den verpatzten Tourneestart im restlichen deutschen Springerteam. „Im Anschlussbereich sind wir leider unter Wert geblieben“, sagte Stefan Horngacher, doch: „Jetzt kommt eine neue Schanze und eine neue Chance“.

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