Unsere Lichtblicke 2020

von Redaktion

Sophia Flörsch, Christina Hering, Marie Lang und Linus Straßer erzählen, was sie an Gutem erlebt haben

VON JULIAN NETT

München – Abgesagte Wettkämpfe, fehlende Zuschauer, ausbleibende Einnahmen – die Corona-Krise verlangte der Sportwelt 2020 alles ab. Doch selbst in solch einem verrückten Jahr gibt es Momente der Dankbarkeit und Freude. Mit Rennfahrerin Sophia Flörsch (20), Slalom-Spezialist Linus Straßer (28), Leichtathletin Christina Hering (26) und Kickbox-Weltmeisterin Marie Lang (34) blicken vier Sportlerinnen und Sportler aus München auf ihre persönlichen Lichtblicke im Lockdown zurück.

Sophias Top-Jahr in der Formel-Blase

Sophia Flörsch, Rennfahrerin: „Es war ein Auf und Ab. Über den Winter hatte ich für 2020 die beste Saison mit Highlights wie die 24 Stunden von Le Mans vorbereitet. Zwei Cockpits waren sicher: In der FIA Formel 3 und der ELMS mit einem 650 PS starken LMP2 Prototyp. Das sind die höchsten Rennserien, die man als 19-jährige Fahrerin bestreiten kann. Die Reisen zu den Events waren geplant und gebucht, alles optimal vorbereitet. Dann der Lockdown. Reiseverbot. Absagen. Die FIA, die F1 und Red Bull zogen an einem Strang. Ein einmaliges Sicherheitskonzept wurde entwickelt: die F1/F2/F3-Blasen! So schaffte man es, die F3 im Juni am Red-Bull-Ring an den Start zu bringen. Großen Respekt vor diesem Engagement. Es war eine mutige Entscheidung, weil niemand wusste, ob es funktioniert. Heute, nach Tausenden Tests, kann man nur gratulieren. Natürlich machte es mich traurig, die Rennen ohne Fans zu bestreiten. Das war bis dahin unvorstellbar. In der F1 kommen rund 100 000 Fans zum Rennen, zu den 24h von Le Mans sogar mehr als 250 000. Gerne hätte ich meinen 9. Platz in Le Mans mit ihnen gefeiert. Bei diesem Megarennen mit 19 Jahren in die Top 10 gefahren zu sein, macht mich stolz. In der F3 sammelte ich vor allem Erfahrung. Glücklich macht mich, dass ich mich trotz vieler Reisen nicht infiziert habe. Mein Weihnachtswunsch? Dass wir Covid-19 in den Griff bekommen!“

Dankbar für die Zeit zu Hause

Christina Hering, Leichtathletin: „Ich bin sehr dankbar, weil ich auf ein eigentlich sehr schönes Jahr zurückblicken darf – trotz dieser ganzen Unsicherheiten, Widrigkeiten und dem Schrecken, den die Corona-Krise mit sich gebracht hat. Auf jeden Fall ein Highlight war für mich, dass ich in diesem Jahr meinen Master abschließen konnte und nun mit 25 Jahren bereits zwei Universitätsabschlüsse vorweisen kann. Und das alles neben dem Sport. Ich denke, da habe ich eine ganz gute Ausgangslage für das spätere Berufsleben nach dem Leistungssport. Und so habe ich in den nächsten zwei Jahren durch die weitere Unterstützung der Bundeswehr die Möglichkeit, mich auf die Olympischen Spiele 2021 und die EM 2022 in München perfekt vorbereiten zu können.

Tatsächlich bin ich auch super dankbar, dass ich 2020 so viel Zeit zu Hause verbringen konnte, weil ich in den letzten Jahren immer sehr, sehr viel unterwegs war. Ich war über 100 Tage im Jahr im Ausland, oft mehrere Wochen im Höhentrainingslager. Die Zeit daheim war irgendwie auch eine schöne Zeit, in der ich es wertschätzen gelernt habe, in so einer tollen Stadt wie München zu leben. Ich bin hier aufgewachsen, aber es ist und bleibt meine Traumstadt.

Außerdem bin ich dankbar, dass in der Leichtathletik Veranstaltungen stattfinden konnten. Da haben sich sehr viele wirklich ins Zeug gelegt und tolle Wettkämpfe auf die Beine gestellt. Es war einfach wahnsinnig schön, dass wir vom harten Training als Vorbereitung für die Olympischen Spiele doch noch zehren und uns zeigen und messen konnten. Ich bin stolz und auch zuversichtlich, dass ich gut auf Olympia vorbereitet gewesen wäre, weil ich in meiner Disziplin konstant gute Leistungen und Konkurrenzfähigkeit zeigen konnte.“

Werkeln mit der Familie

Linus Straßer, Skifahrer: „Wenn wir an 2020 denken, ist die Mehrheit wohl froh, dass das Jahr bald Geschichte ist. Die Corona-Pandemie hatte enormen Einfluss auf den öffentlichen und privaten Bereich. Auch auf mich. Statt Weltcupfinale in Cortina gab es Corona-Heimaturlaub. Die Sommervorbereitung war bestimmt von Quarantäneauflagen und Reisebeschränkungen. Die jetzigen Rennen begannen spät wie nie und finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auf den ersten Blick fällt es mir daher schwer, dem Jahr etwas Positives abzugewinnen. Auf den zweiten Blick jedoch gibt es Dinge, die ohne Corona vermutlich nie passiert wären. Meine Welt wurde kleiner, langsamer. Ich verbrachte mehr Zeit mit meiner Familie, und konnte mich Aufgaben widmen, die mir zuvor nie in den Sinn gekommen wären, wie beispielsweise ein Projekt, das für meine Familie und mich eine Reise in die Vergangenheit und Rückbesinnung auf traditionelle Werte wurde.

Meine Großmutter besaß zwischen München und Augsburg ein Grundstück mit einem Häuschen drauf. Früher nutzte sie es hauptsächlich an Wochenenden, bis sie sich eines Tages entschloss, ganz aufs Land zu ziehen, da sie sich mehr um ihren Garten kümmern wollte. Ich erinnere mich noch gut, wie wir als Kinder dort die Sommertage verbrachten und im selbst gebauten Pool planschten oder den angrenzenden Wald unsicher machten. Je älter ich wurde, umso weniger Zeit verbrachte ich in diesem Idyll. Als meine Großmutter dann vor über zehn Jahren starb, waren wir so gut wie gar nicht mehr da. Das Haus verfiel und der Garten verwilderte. Als mein Vater im Sommer dann die Idee hatte, dass wir alle gemeinsam Omas Häuschen herrichten könnten, war die Familie begeistert und der Ort im Grünen wurde wie früher an vielen Wochenenden und Abenden zum Zentrum der Familie.

Die Arbeit machte Spaß, und ich lernte handwerklich viel dazu. Es war schön zu sehen, wie Haus und Garten erneuert wurden und alle gemeinsam anpackten. Aber nicht nur der Garten hatte plötzlich wieder an Bedeutung gewonnen, auch Traditionelles und Regionales rückte mehr in den Fokus und Familiengeschichte wurde neu entdeckt. Sei es nun das gute Essen der Großmutter oder die regionalen und saisonalen Besonderheiten – all das war plötzlich wieder Teil meiner Welt. Wenn ich also an meinen Lichtblick im Lockdown denke, dann ist das das Häuschen meiner Oma.“

Viel Menschlichkeit erfahren

Marie Lang, Kickboxerin: „Mein Lichtblick während des Lockdowns waren meine Nachbarn. Im November hatte ich mich mit Corona infiziert. Zum Glück hatte ich bloß geringe Symptome mit leichten Schmerzen in der Lunge, aber ich musste 14 Tage in Quarantäne. Ich konnte nicht mit dem Hund spazieren gehen, nicht einkaufen, nicht mal den Müll rausbringen. Die Decke fiel mir auf den Kopf. Es fehlte mir sogar, morgens um sechs Uhr von meinem Trainer am Sandsack angeschrien zu werden.

Vor allem war ich ziemlich unvorbereitet, als ich das Test-Ergebnis bekam. Ich hatte bloß etwas Brokkoli, Joghurt, Butter, Marmelade und etwas Ketchup im Kühlschrank. Durch das Virus waren meine Geschmacksnerven zwar komplett weg, aber zwei Wochen nur Brokkoli mit Ketchup? Da geh ich k.o.! Ohne Hilfe müsste ich jetzt zwei Gewichtsklassen tiefer kämpfen. Zum Glück hatte ich Nachbarn, die für mich gesorgt haben. Fremde Menschen, mit denen ich zuvor nie mehr als ein „Guten Morgen“ am Briefkasten gewechselt hatte, kamen plötzlich auf mich zu. Sie boten mir an, meinen Hund auszuführen und Einkäufe zu erledigen. Der Betreiber der Pizzeria bei mir ums Eck brachte Pizza vorbei, obwohl er eigentlich keinen Lieferservice hat. In einer Zeit, wo alle Abstand zu mir halten sollten, spürte ich auf einmal sehr viel Nähe und Menschlichkeit. Das war die schönste Erfahrung in diesem verrückten Jahr.“

Artikel 1 von 11