Ohne Chef in St. Moritz

von Redaktion

BOB Piloten im Vierer doppelt unter Druck – und Spies daheim

München – Wie es an der Bahn in St. Moritz läuft? „Nun ja“, sagt Rene Spies, „das kann ich nicht ganz genau sagen.“ Ungewöhnliche Worte für einen Cheftrainer, dessen Bob-Piloten sich inmitten einer Weltcup-Saison befinden. Aber Spies ist halt tatsächlich nicht in der Schweiz, sondern im heimischen Wohnzimmer. Am Wochenende, beim zweiten Vierer-Weltcup des Winters, wird es ohne ihn gehen müssen.

Sorgen muss man sich nicht machen, Spies ist nicht krank, nicht in Quarantäne, sondern dient nur als gutes Vorbild. Denn es war die Idee des 47-Jährigen, jedem Trainer in seinem Stab in der kräftezehrenden Corona-Saison eine Woche lang frei zu geben. „Ein paar Tage Luft“ wollte er allen gönnen, auch sich selbst. Und weil die Reise in das Bob-Mekka St. Moritz bei den anderen Protagonisten beliebt ist, nutzt er halt die Gunst der Stunde. Eine kleine Auszeit tut gut, wenngleich Spies im ständigen Austausch mit seinen Assistenten vor Ort ist. Denn seine Absenz ändert nichts daran, dass es „ab sofort in Richtung Olympia etwas ernster wird“.

Acht Zweier-Rennen sind bei den Herren bereits im alten Jahr absolviert worden, trotzdem hatte man stets mit einem Gefühl zwischen Hoffen und Bangen auf den ersten Weltcup 2021 geschielt. Am vergangenen Wochenende in Winterberg nämlich stiegen Dominator Francesco Friedrich und Dauer-Kontrahent Johannes Lochner erstmals in den großen Schlitten – mit unterschiedlichem Erfolg. Während Weltmeister Friedrich auf Anhieb gewann und auch den hoch eingeschätzten Kanadier Justin Kripps schlug, kam der Berchtesgadener Lochner vor allem am Start gar nicht mit.

„Er war erschüttert über seine Anschub-Zeiten“, sagt Spies, knapp zwei Zehntel verlor der 30-Jährige auf den ersten Metern. Mehrere Telefongespräche haben daher im Lauf der Woche stattgefunden, auch Spies hofft auf eine Steigerung schon an diesem Wochenende. Bis zur WM in Altenberg sind es drei Wochen, und der Chef spricht aus, was allen klar ist: „Was zählt für den Hansi noch? Der will Weltmeister werden! Der will Olympiasieger werden!“ Aber dafür muss er halt an Friedrich vorbei – eine größere Aufgabe gibt es in diesem Sport nicht.

Der Olympiasieger hat in Winterberg seine Weltcup-Siege Nummer 45 und 46 eingefahren, mehr hat noch kein Pilot geschafft. Und das, obwohl er – wie Lochner – selbst im Rennen neben dem sportlichen Erfolg noch eine zweite Mission hatte. Das Duo testet seit Monaten Material, die Erkenntnisse der beiden Top-Piloten sollen auf dem Weg nach Peking 2022 wertvolle Erkenntnisse liefern. Lediglich vier Vierer-Weltcups sind in diesem Winter vorgesehen, die Zeit drängt – und Spies sagt: „Jeder Testlauf zählt für uns.“ Dass der Weltcup auf der neuen Olympiabahn in China ausfällt, erhöht den Druck noch mal. Vor Ort ist man erst im Oktober.

Auch in St. Moritz geht es nun um beides: Erfolg wie Erkenntnisse. Spies schaut sich alles von der Couch aus an. „Meine Kinder“, sagt er, „jubeln seit Tagen darüber, dass wir gemeinsam ein Rennen verfolgen können.“ Sie werden genau hinschauen, wie der Papa. HANNA RAIF

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