München – Diesmal müssen die Farben für sich sprechen. Denn dort, wo normalerweise rund um den „Erinnerungstag im deutschen Fußball“ 75 000 Zuschauer zugegen sind, wird am Samstag um 15.30 Uhr gähnende Leere herrschen. Die Aktion, die der FC Bayern beim Heimspiel gegen Hoffenheim plant, muss in der Stille der Geister-Arena stattfinden. Das macht ihre Botschaft – „mia san bunt“ – nicht minder wichtig.
Regenbogenfarben an der Eckfahne, eine bunte Kapitänsbinde für Manuel Neuer – und für alle, die die Arena von außen sehen, eine farbenfrohe Beleuchtung: „In dieser Welt dürfen Homophobie, Hass und Ausgrenzung egal welcher Art keine Rolle spielen“, sagt Herbert Hainer. Der Präsident bezeichnet den Rekordmeister als „weltoffenen Verein für Toleranz und Vielfalt“, er steht für diese Werte ein. Dass er die Aktion „!Nie wieder“ im deutschen Fußball unterstützt, in deren Mittelpunkt heuer jene Menschen stehen, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität während der Naziherrschaft stigmatisiert, brutal verfolgt und ermordet wurden, ist nur logisch. Auch die Amateure, die Frauen und die Basketballer werden Zeichen setzen. Es soll eine gemeinsame Aktion der Bayern sein, über die Clubboss Karl-Heinz Rummenigge sagt: „Wir wissen, dass unsere Fans diese Weltanschauung teilen – das macht uns stolz.“
Teil der Botschaft können die Anhänger coronabedingt nicht sein, Kreativität aber haben sie in der Vergangenheit schon bewiesen. Die Choreographie zu Ehren des jüdischen Ehrenpräsidenten Kurt Landauer wurde rund um den Holocaust-Gedenktag im Jahr 2014 preisgekrönt, und auch im FC Bayern Museum wird enorm viel Zeit in die Erinnerungsarbeit investiert. Seit der Eröffnung vor neun Jahren gibt es Aktionen rund um den 27. Januar. Mal kleinere wie Lesungen und Sonderführungen, mal größere wie unter anderem die konzipierte Wanderausstellung „verehrt – verfolgt – vergessen“.
100 000 Euro hat der Verein gestern auch für die Renovierung einer Synagoge an der Reichenbachstraße gespendet. Im Vorjahr wurde der Tag genutzt, um gemeinsam mit der Stadt München Erinnerungszeichen für die beiden ehemaligen Vereinsmitglieder Wilhelm Neuburger und Hugo Railing sowie deren Ehefrauen Irene und Hedwig zu übergeben. Rummenigge sagte damals den Satz: „Vergangenheit mahnt. Gegenwart erinnert. Zukunft verpflichtet.“ Und der Vorstandsboss war sich bei seiner Rede freilich auch den Gegebenheiten bewusst, die aus der Geschichte seines Vereins hervorgehen.
Heuer wird von Hainer explizit dem früheren Präsidenten Angelo Knorr gedacht, „der wegen seiner Homosexualität einst sogar verhaftet wurde“. Das Paradebeispiel für ein jüdisches Schicksal hingegen ist stets Landauer: In der Nazi-Zeit zum Rücktritt gezwungen, 1947 zurückgekehrt. Der Mann, der den FC Bayern erfand, sagt man.
Überhaupt macht der Blick in die Chroniken die Verantwortlichen stolz. Als „Juden-Club“ wurden die Bayern ja bezeichnet, als Hort des Anstands in einer dunklen Zeit. Zweifel an dieser Darstellung jedoch sind vor rund vier Jahren aufgekommen. Als Konsequenz aus Recherchen des „Spiegels“, die den Bayern deutlich frühere Nazi-Nähe unterstellten, hat der Verein einen unabhängigen Forschungsauftrag an das renommierte Institut für Zeitgeschichte (IfZ) vergeben. Ergebnisse sind bald zu erwarten.
Seit 2017 beschäftigt sich der angesehene Historiker Frank Bajohr mit der Rolle des Vereins im Nationalsozialismus, er und seine Mitarbeiter durchkämmen Archive über Archive. Auf drei Jahre war das Projekt angelegt, diese sind vergangen. Tatsächlich ist die Studie so gut wie abgeschlossen, spätestens im Herbst rechnet man beim FC Bayern mit der Veröffentlichung. Wenn 2022 der 18. Erinnerungstag im deutschen Fußball ansteht, wird man also definitiv mehr wissen.