Das große Glück nach dem Albtraum

von Redaktion

VENDEE GLOBE  Boris Herrmann kollidiert nachts mit Fischerboot, erreicht aber das Ziel

Les Sables-d’Olonne – Boris Herrmann drückte seiner kleinen Tochter Marie-Louise einen dicken Kuss auf die Stirn und zog seine Frau Birte ganz dicht an sich heran. Dann hängte sich der Segelstar aus Hamburg eine Deutschland-Flagge um die Schultern und ließ im Hafen von Les Sables-d’Olonne den Champagner-Korken knallen. „Ich bin absolut glücklich mit dem Rennen, mit dem Resultat, mit allem“, sagte Herrmann. Die großen Glücksgefühle hatten den schweren Schock verdrängt.

Kurz zuvor hatte der 39-jährige Familienvater am Donnerstag um 11.19 Uhr die Ziellinie der Vendee Globe vor der französischen Küste mit einer Rennzeit von 80 Tagen, 14 Stunden, 59 Minuten und 45 Sekunden gekreuzt und vorerst Rang vier eingenommen. Letztlich wurde er (wegen einer Zeitgutschrift von 16,5 Stunden für den Franzosen Jean Le Cam) Fünfter und bekam dafür 50 000 Euro Prämie. Ein besseres Ergebnis, womöglich gar den Sieg, hatte ein schwerer Crash mit einem Fischerboot verhindert.

Herrmann erlebte dabei am Mittwochabend nur 85 Seemeilen vor dem Ziel seinen bisher „größten Albtraum. Plötzlich sah ich eine Wand neben mir, die Schiffe verhakten sich, ich hörte Männer rufen“, berichtete Herrmann später.

Der erste deutsche Starter überhaupt bei der härtesten Regatta der Welt blieb wie die Fischer des spanischen 30-Meter-Trawlers Hermanos Busto unverletzt, büßte durch den Unfall aber seine Chance auf den ganz großen Coup ein.

Während der Franzose Yannick Bestaven dann in der Nacht seinen Triumph feierte, kämpfte Herrmann mit seinen Emotionen und seinem beschädigten Boot. „Es bricht mir so ziemlich das Herz“, sagte Herrmann, er wisse nicht, ob er dem Podium jemals wieder so nah kommen werde. Sein Fazit am Ende der Marathon-Regatta: „Man muss 80 Tage auf die Zielankunft warten und darauf, dass all diese schönen Emotionen eintreten. Es ist keine Vergnügungsreise, es ist ein seltsames Verhältnis zwischen Zeit und Belohnung.“ Herrmann sei ein „wahrer Held“, schrieb Klimaaktivistin Greta Thunberg, die 2019 mit ihm über den Atlantik nach New York gesegelt war.

Die Frage, wie es zu dem Unglück kommen konnte, wühlte den deutschen Skipper sichtlich auf. „Wie kann das Radar das Schiff nicht erkennen? Ich kann es mir nicht erklären“, sagte er. Die Schutzsysteme der Hightechjachten sind eigentlich hypersmart und hatten während des kräfteraubenden Rennens problemlos funktioniert.

Der Kapitän des Fischkutters ist sich nach der Kollision mit Herrmanns Jacht keiner Schuld bewusst und verbat sich Vorwürfe. Das Automatische Identifikationssystem (AIS) bei seinem Schiff sei „zu jedem Zeitpunkt“ eingeschaltet gewesen, versicherte Jose Zaldumbide gestern in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.

Am 8. November war Herrmann wie 32 weitere Männer und Frauen zum Wettrennen durch drei Weltmeere aufgebrochen. Auf der rund 50 000 Kilometer langen Reise non-stop und alleine um die Erde kämpften sie mit den Kräften, der Einsamkeit, mit Stürmen, mit Wellen, die das Boot des später aus Seenot geretteten Franzosen Kevin Escoffier in der Mitte durchbrachen. Bei der Frage, was das größte Problem in den 80 Tagen auf See gewesen sei, wurde Herrmann ernst. „Die Einsamkeit war das mit Abstand Schwierigste“, erklärte er. „Ich bin nicht fürs Alleinsein gemacht. Ich bin kein Einzelgänger. Ich habe gern Menschen um mich.“ Es sei „eine menschliche Erfahrung gewesen, aber nicht immer eine einfache“.

Viele Experten staunten, dass der lange vorsichtige Herrmann bei der historisch umkämpften Vendee sogar die Chance suchte, als erster Nicht-Franzose das prestigereiche Event zu gewinnen. Doch dann kam der Schock.

Aber auch so ist er ein großer Gewinner der Vendee Globe, bei der mindestens acht Teilnehmer das Ziel nicht erreichten. Mit charismatischen Auftritten bei seinen Berichten von Bord gewann er eine immer größere Fanbasis. Regelmäßig schafften es die spektakulären Bilder in die großen Nachrichten- und Sportsendungen im TV, in den Sozialen Medien begeisterte er tausende Fans.

Herrmann habe eine „Leuchtturmfunktion“ übernommen, sagte Mona Küppers, Präsidentin des Deutschen Segler-Verbandes. Sie ist überzeugt, „dass die geweckte Leidenschaft für das Segeln nach der Vendee Globe nicht verpufft und dass es mehr Menschen in den Segelsport zieht“.  sid/dpa

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