„Es geht so viel verloren und kaputt“

von Redaktion

Ein Jahr nach ihrem letzten Rennen: Viktoria Rebensburg über die Corona-Folgen im Skisport

München – Vor fast genau einem Jahr gewann Viktoria Rebensburg, 31, die Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen. Es war das letzte komplette Rennen der Kreutherin. Am Tag danach zog sie sich bei einem Sturz im Super-G eine Knieblessur zu, musste die Saison beenden und erklärte im September ihren Rücktritt. Die Riesenslalom-Olympiasiegerin von 2010 spricht über Zoom-Training mit Kindern, die Entwicklung der Einzelkämpferin Kira Weidle und eine möglicherweise verlorenen Generation.

Viktoria Rebensburg, kommen bei Ihnen jetzt, da der Weltcup wieder in Garmisch-Partenkirchen gastiert, besondere Erinnerungen an ihren Sieg vor einem Jahr hoch?

Eigentlich nicht so wirklich. Wenn ich natürlich darüber spreche, wie jetzt mit Ihnen, oder wenn man sich über die Vergangenheit unterhält, dann natürlich schon. Aber ich denke, wenn die Rennen dann stattfinden, wenn ich sie im Fernsehen sehe, dann werden diese Erinnerungen schon wieder aufkommen.

Sie kommentieren die beiden Rennen ja wahrscheinlich für Eurosport . . .

Nein, an diesem Wochenende bin ich wegen eines Termins in der Schweiz. Dabei hatte ich schon überlegt, ob ich nicht sogar in Garmisch vorbeischaue und die ehemaligen Kolleginnen besuche. Das ging aber nicht wegen der ganzen Hygienemaßnahmen. Es wäre aber sicher auch spannend gewesen, die Rennen für das Fernsehen zu kommentieren, denn das wären am Mikrofon definitiv besondere Emotionen gewesen.

Mit einem deutschen Sieg ist dieses Mal nicht zu rechnen, zumal wegen des Wetters die Abfahrt entfällt. Was trauen Sie Kira Weidle im Super-G zu?

In der Abfahrt hätte Kira großes Potenzial gehabt, ganz vorne reinzufahren. Sie hatte ja schon ein paarmal angeklopft mit Podestplätzen.

2019 wurde sie Dritte in Garmisch-Partenkirchen.

Genau. Allerdings hat sie gerade noch etwas mit dem Sturz im Dezember in Val d’Isère zu kämpfen. Das hat sie etwas aus dem Konzept gebracht. Aber wenn alles passt für sie, ist die Kandahar eine Strecke, auf der sie sehr schnell sein kann. Auch im Super-G.

Wie sehen Sie grundsätzlich Weidles Entwicklung?

Die Entwicklung stimmt. Es ist sicher nicht so einfach für sie, denn im Training fehlt die Orientierung. Ich bin nicht mehr da, und die anderen deutschen Abfahrerinnen kämpfen mit Verletzungsproblemen. Aber vor allem in Val d’Isère hat sie mir sehr gut gefallen. Wie sie die beiden Trainingsstürze verarbeitet hat, wie sie sich danach überwinden konnte und ihr in der zweiten Abfahrt als Fünfte ein Topergebnis gelang, das war beeindruckend.

Mit Weidle in der Abfahrt und Lena Dürr im Slalom gibt es derzeit nur zwei Top-Ten-Fahrerinnen im deutschen Frauen-Team. Ganz überraschend ist es aber nicht, dass es nach Ihrem Rücktritt eine zähe Saison ist für die ehemaligen Kolleginnen.

Natürlich hofft man, dass es einen Schritt nach vorne geht. Aber man muss sich auch die Verletzungen anschauen, mit denen das deutsche Team zu kämpfen hat. Da fallen gerade einige Fahrerinnen weg, die Chancen hätten, nach vorne zu fahren. Ich würde mir aber wünschen, dass in Zukunft bei uns mehr junge Fahrerinnen nachkommen, so wie beispielsweise bei den Französinnen. In Crans-Montana am vergangenen Wochenende war das gut zu sehen. Oder auch die Amerikanerinnen. Denen ist im Slalom und Riesenslalom ein guter Schritt nach vorne gelungen.

In Zukunft könnte es noch schwieriger werden. Wegen der Corona-Krise kann der Nachwuchs nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen trainieren.

Das ist natürlich fatal. Ich sehe es in meinem Bekanntenkreis, dass die Kinder nicht mehr rauskommen zum Skifahren. Ich habe zuletzt mal eine kleine Trainingseinheit via Zoom mit Kindern gemacht, um sie bei Laune und quasi bei der Stange zu halten. Und natürlich trifft es auch Kaderathleten und -athletinnen. Die U 10-Kader dürfen aktuell nicht trainieren, da tut mir das Herz weh. Es geht so viel verloren und kaputt. Das ist vor allem für die Zukunft katastrophal, die Auswirkungen sind möglicherweise in fünf bis zehn Jahren erst richtig zu spüren.

In Deutschland gibt es ohnehin weniger Nachwuchs als in Ski-Nationen wie Österreich, Schweiz, Italien, aber auch Frankreich.

Grundsätzlich fehlt es bei uns etwas an Quantität, aber ich weiß nicht, ob die in Frankreich oder den USA so viel größer ist. Irgendetwas scheint nicht zusammenzupassen, sonst kämen mehr an die Spitze. Und das wird den Trainern nicht jetzt erst aufgefallen sein. Definitiv wird einiges passieren, auch passieren müssen, damit die Situation besser wird. Ich kann mich erinnern, als wir bei den Frauen ein sehr starkes Team mit Kathrin Hölzl, Maria Höfl-Riesch und mir hatten, ging es in der Pressekonferenzen oft um die Herren, vor allem um das Speedteam, da gab es jahrelang keinen Topfahrer. Und jetzt ist es die Vorzeigemannschaft der deutschen Alpinen. Da wurde viel investiert, um das voranzubringen.

Hat man fünf Monate nach dem Rücktritt eigentlich schon Abstand vom Skisport?

Beim Kommentieren fiebere ich mit. Ich weiß ja, wie sich die Athletinnen fühlen. Und ich bin ja immer noch von ganzem Herzen Sportlerin, weil ich mich unglaublich gerne bewege und in der Natur bin. Aber vom Rennfahren komme ich schon immer weiter weg, das merke ich. Ich hatte noch nie den Moment, dass ich dem Wettkampf nachtrauere oder dass ich mir denke, da wäre ich jetzt auch gerne runtergefahren. Es ist gut, wie es ist.

Fällt das auch leichter, weil in diesem Corona-Winter wegen fehlender Zuschauer weniger Emotionen aufkommen?

Natürlich sind die Emotionen wichtig, dass die Zuschauer jubeln, wenn du mit einer super Zeit ins Ziel fährst. Aber während der Fahrt bekommen wir die Zuschauer nicht wirklich mit, erst im Ziel sind sie präsent. Anders als im Tennis oder im Fußball, wo du in einem Stadion bist, in dem es total leise ist. Wichtig ist, dass der Sport überhaupt weiterlebt, dass Rennen gefahren werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es irgendwann wieder besser wird.

Was genießen Sie am meisten als Ski-Rentnerin?

Einfach mehr Zeit und nicht den Stress zu haben. Ich war ja 15 Jahre im Winter nie länger als ein paar Tage am Stück daheim. Deshalb genieße ich jetzt sehr, welche Facetten der Winter für mich hat. Ich gehe zum Langlaufen, mache Skitouren, das ist einfach unheimlich schön.

Gibt es auch etwas, das Ihnen fehlt?

Es war immer schön, zu reisen, viele andere Orte kennenzulernen und das im Team zu erleben. Wir haben uns gut verstanden und hatten viel Spaß neben der Piste. Da denke ich manchmal, es wäre schön, das wieder einmal zu erleben. Aber ansonsten bin ich sehr glücklich und zufrieden mit der Situation jetzt.

Sie haben am Ende Ihrer Karriere kritisiert, dass rund um Ihren Sport einiges falsch läuft, unter anderem bei den Olympischen Spielen. Fürchten Sie, dass sich durch die Pandemie auch aus finanziellen Gründen die Probleme noch verschärfen oder ist es auch eine Chance zur Kurskorrektur?

Ich glaube, dass es eine Chance sein kann. Man sieht doch am Weltcup, dass es funktioniert und die Attraktivität des Sports nicht darunter leidet, wenn es weniger Stationen gibt, aber dafür mehrere Wettbewerbe an einem Ort stattfinden. Man muss jetzt dranbleiben, sich Gedanken machen, vor allem auch zum Thema Umwelt, denn es ist ja zum Beispiel auch nicht förderlich, wenn man permanent von A nach B fliegt.

Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht, sich für den Skisport mehr zu engagieren, egal ob national oder international? Denn um etwas zu ändern, reicht die Kritik alleine wahrscheinlich nicht.

Ich versuche, dem Skisport schon etwas zurückzugeben. Wie vorhin erwähnt, habe ich mit Kindern ein kleines Zoom-Training abgehalten und habe das auch mit anderen Gruppen noch vor. Wenn sich etwas ergibt, bin ich natürlich bereit, für diesen unglaublich schönen Sport zu kämpfen und Ideen einzubringen.

Interview: Elisabeth Schlammerl

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