Hanfmann: „Topstars verdienen Privilegien“

von Redaktion

Tennisprofi über den Corona-Streit in Australien

München/Melbourne – Es klingt komisch, irgendwie falsch: Aber Yannick Hanfmann war bis jetzt einer der Gewinner der Pandemie. Zumindest nach sportlichen Maßstäben.

Der gebürtige Karlsruher mit Trainingssitz in Oberhaching – kämpfte sich in der Corona-Saison zurück in die Top 100. Unter anderem mit einem Turniersieg im italienischen Todi und einer Finalteilnahme bei der Veranstaltung in Kitzbühel. Sein Lohn: die Quarantäne in Melbourne vor den Australian Open. Sein verbessertes Ranking berechtigt ihn automatisch zur Teilnahme am ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres. Die Freude, dabei zu sein, übertrifft den Frust über die harten Pandemie-Regeln in Down Under. Wobei auch an ihm die Tage nicht spurlos vorbübergegangen sind, wie Hanfmann unserer Zeitung kurz vor Ende seiner Isolation verrät.

„Mein Zimmer hat kein Fenster. Ich bin die ganze Zeit der Klimaanlage ausgeliefert. Ich kann aber fünf Stunden am Tag raus und trainieren, so ist die ganze Situation für mich akzeptabel. Andere Spieler haben es schwieriger“, sagt der 29-Jährige. So wie viele seiner Kollegen, die ihr Zimmer gar nicht verlassen dürfen, weil auf ihren Flügen nach Australien positive Corona-Tests aufgetaucht sind. Da gleichzeitig die Topstars der Szene um Novak Djokovic in Adelaide erhebliche Privilegien genießen, ist ein heftiger Streit zur Chancengleichheit unter den Profis ausgebrochen. Hanfmann betrachtet den Ärger von zwei Seiten: „Die Topstars haben sich ihre Privilegien verdient. Aber wo zieht man da die Grenze? Was ist mit Daniil Medwedew oder Alexander Zverev? Die sind auch nach Australien gereist, um das Turnier zu gewinnen. Die sehen, dass ihre direkten Konkurrenten eine ganz andere Vorbereitung bestreiten dürfen. Zverev und Co. sind mit Sicherheit nicht happy“, sagt Hanfmann, der nachschiebt: „Von solchen Problemen bin ich aber ein ganzes Stück entfernt.“

Für alle gleich ist das Problem der Zeitverschiebung. Wenn der Tag in Melbourne beginnt, begeben sich Freunde und Familie in der deutschen Heimat erst ins Bett. „Morgens versuche ich daher, einige Videotelefonate hinzubekommen. Zum Beispiel mit meiner Freundin. Das ist die einzige Chance. Sonst sieht man sich relativ lange überhaupt nicht.“ Ansonsten hat er die Zeit mit einigen Netflix-Serien und American Football gefüllt. Als Ex-College-Spieler von Los Angeles wurde der Deutsche in den USA ein Football-Fan. „Die Playoffs der NFL liefen hier direkt am Morgen. Das hat perfekt gepasst.“

Sportlich liegen vor Hanfmann ungewisse Wochen. Nach den erfolgreichen Auftritten im (Spät-)Sommer 2020 hat er sich beim Masters in Paris einen Ermüdungsbruch im Fuß zugezogen. „Die gesamte Vorbereitung habe ich bisher mit Rehabilitation verbracht. Erst in Australien konnte ich wieder normal Punkte spielen. Daher bin ich schon superhappy, wenn ich auf dem Platz stehe“, blickt er auf das erste Grand-Slam-Turnier 2021, das am 8. Februar startet.

Von den Reformen, die zu Beginn der Pandemie von vielen Seiten gefordert wurden, hat für ihn eine Interessenvertretung der Spieler Priorität: „Wir brauchen einen puren Spielerrat, der losgelöst ist von der ATP“, fordert der Tennisprofi. So wie es Novak Djokovic mit seinem PTPA bei den US Open im September angekündigt hat. „Da habe ich allerdings meine Zweifel, ob die Beteiligten mit den richtigen Motiven an den Start gegangen sind“, sagt Hanfmann.

Ein Thema, das ihn immer noch sehr direkt betrifft: die Preisgeldverteilung. Schlechter platzierte Spieler sollen besser vom Tennis leben können. „Bei den ATP-Turnieren ist es ausgeglichener geworden. Für mein Finale in Kitzbühel habe ich 12 000 Euro bekommen. Ein Jahr vorher wären das bestimmt 40 000 Euro gewesen. Da hat sich schon was geändert. Das meiste Geld wird aber immer noch bei den Grand Slams verdient.“ Stimmt. Übersteht Hanfmann die erste Runde bei den Australian Open, erhält er 150 000 Australische Dollar – fast 100 000 Euro. Dafür müsste er in den nächsten acht Jahren ins Kitzbüheler Finale einziehen. Das wird er mit seinen 29 Jahren nicht mehr schaffen. DANIEL MÜKSCH

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