München – Thomas Dreßen ließ vor Freude die Skistöcke in der Luft kreisen. Aber ein wenig später war auch dem Vorjahressieger im Zielraum von Garmisch-Partenkirchen nicht mehr zum Lachen zumute. Der 27-Jährige aus Mittenwald, der sich bei der Weltcup-Abfahrt als Vorläufer an Tempo und Rennbedingungen nach seiner Hüftoperation herangetastet hat, musste mit ansehen, wie einer seiner Kollegen spektakulär stürzte.
Für Josef Ferstl war am Freitag nach rund einer Minute Fahrzeit nicht nur das Rennen, sondern auch die Saison. Er hatte den Druck auf den Außenski verloren, war in Rücklage geraten und in den Fangzaun flog. Ferstl befreite sich anschließend zwar selbstständig aus dem Netz und fuhr auf Skiern ins Ziel. Weil er aber über Schmerzen im Sprunggelenk und an der Hüfte klagte, begab er sich zur Untersuchung ins Krankenhaus von Garmisch-Partenkirchen. Dort erhielt der 31-Jährige die ernüchternde Diagnose: Muskelbündelriss am linken Hüftbeuger, das linke Sprunggelenk angebrochen. Er muss acht bis zehn Wochen pausieren und verpasst damit auch die WM. Das sei „natürlich bitter“, ließ er aus dem Krankenhaus ausrichten. „Auf der anderen Seite bin ich froh, dass nicht mehr passiert ist. Ich werde die Verletzung ausheilen und dann in die Vorbereitung für die Olympia-Saison einsteigen.“
Während Ferstl daheim am Waginger See seine Verletzung auskuriert, fiebert Dreßen der WM entgegen. „Ich bin extrem zufrieden von der Steigerung her, nicht nur von der Zeit, sondern auch vom Fahrerischen her“, sagte er. Im Ziel hatte er per Funkgerät für die Kollegen oben am Start noch ein paar Hinweise gegeben. Geholfen haben die allerdings nicht besonders viel. Die deutsche Mannschaft nimmt zu der am Montag beginnenden WM in Cortina d’Ampezzo eines der schlechteren Abfahrts-Ergebnisse dieser Saison mit
Dominik Schwaiger war als Zwölfter der Beste, zwei Plätze dahinter landete Romed Baumann. Und der, der am schnellsten unterwegs war, landete im Fangzaun. Für einen Lichtblick sorgte in Simon Jocher der letzte Deutsche auf die Strecke ging, da hatten die warmen Temperaturen der Piste schon arg zugesetzt. Der Schongauer trotzte den widrigen Bedingungen und schaffte mit Platz 25 sein bestes Abfahrtsergebnis im Weltcup. Man sei man „deutlich hinter den Erwartungen geblieben“, gab Alpinchef Wolfgang Maier zu. Als Rückschlag wollte er das Ergebnis aber nicht bezeichnen. „Das war einfach ein schwieriges Derby hier runter.“
Wer auf der anspruchsvollen Kandaharstrecke ganz vorne landet, gehört meist dem Zirkel der Besten an. Außenseitersiege sind in Garmisch-Partenkirchen eher selten – und wenn dann meist ungewöhnlichen Witterungsbedingungen geschuldet. Aber dieses Mal war es schon am Abend vorher absehbar, dass es kein Nachteil sein würde, möglichst früh zu starten. Die Besten der Welt entschieden sich deshalb für niedrige Nummern – und setzten dann auch die Maßstäbe. Die größte Überraschung war nur die Reihenfolge mit Dominik Paris an der Spitze, und doch war der Sieg des Südtirolers der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung nach seinem Kreuzbandriss vor gut einem Jahr. „Man kämpft und kämpft sich zurück“, sagte Paris. Schritt für Schritt näherte er sich seiner früheren Form, als er mit dem Schweizer Beat Feuz um den Abfahrts-Weltcup gekämpfte hatte.
In Kitzbühel, das nach drei Abfahrtssiegen als so etwas wie sein Wohnzimmer gilt, „fehlte nicht mehr so viel zum Sieg“, sagte Paris. Auf der Streif war er Dritter geworden, hinter Feuz und dem Österreicher Matthias Mayer. Jetzt drehte er den Spieß um, gewann vor dem Schweizer und Mayer. „Jetzt zurück zu sein, ist großartig.“ Aber eine logische Konsequenz war der Sieg nicht unbedingt, denn die Kandahar und Paris, das war bisher noch keine große Liebesgeschichte gewesen. Nur einmal war er in zuvor sieben Abfahrtsrennen auf dem Podest gelandet, 2018 als Zweiter.
„Ich wusste, im unteren Streckenteil muss ich noch einmal alles rausholen, denn die Konkurrenz ist einfach stark“, sagte der 31-Jährige aus dem Ultental. Dabei hatte Paris ein wenig Glück, das Rennen nicht verpasst zu haben. Auf seinem Instagram-Post am Freitagmorgen gab der Südtiroler die Startzeit für die Abfahrt mit 12.30 Uhr statt 11.30 Uhr an. Er hat es aber noch rechtzeitig bemerkt. Er sei ja nicht so oft in den sozialen Medien unterwegs, sagte er, „da passieren schon mal Fehler“. Damit kann er ganz gut leben. Wichtiger ist, dass auf der Piste nichts schiefläuft.