Melbourne – Boris Becker möchte mit Alexander Zverev und Co. nicht tauschen –zu verzwickt sind die Rahmenbedingungen dieser Australian Open. „Das ist mit nichts vergleichbar, was Tennisspieler jemals erleben mussten“, sagte Becker vor dem Turnierbeginn an diesen Montag, der auch ein Start ins Ungewisse ist.
Erst mussten die Profis zwei Wochen Quarantäne im Hotel verbringen, nur eine Woche blieb zur gezielten Vorbereitung, nun sollen sie Weltklasseleistungen bei mehr als 30 Grad im australischen Sommer abrufen. „Das geht eigentlich nicht“, meinte Becker. Muss es aber. Deshalb ist für den zweimaligen Melbourne-Sieger das erste Grand-Slam-Event des Jahres „vielleicht so offen wie nie zuvor“ – auch, weil „nicht alle Spieler die gleichen Voraussetzungen haben“.
Während ein Großteil der Teilnehmer in der Quarantäne zumindest zwei Stunden täglich auf den Trainingsplatz durfte, mussten mehr als 70 Profis 14 Tage in ihrem Hotelzimmer bleiben – darunter auch Angelique Kerber. Hinter der Form vieler Stars steht daher ein Fragezeichen.
Alexander Zverev klagte nach dem Halbfinal-Aus am Samstag im ATP Cup gegen den späteren Sieger Russland über leichte Rückenprobleme – und ist damit in prominenter Gesellschaft. Die Weltranglistenzweite Simona Halep zeigte sich von einer Rückenverletzung stark beeinträchtigt, Rafael Nadal trat wegen anhaltender Rückenschmerzen überhaupt nicht beim ATP Cup an. Dennoch rechnet der Spanier fest mit einem Start bei den Australian Open. „Ich denke nicht daran, nicht zu spielen“, sagte Nadal am Sonntag.
Aufgrund der schwierigen Vorbereitung und zahlreicher Wehwehchen ist für Becker der ein oder andere frühe Favoritensturz aber schon programmiert. „Ich sehe in der ersten Turnierwoche viele Überraschungen“, sagte er und erklärte: „Alle haben ein Problem: Sie haben zu wenig Matches. Jeder Favorit hat Angst vor der ersten Runde.“
Bei den Männern ist trotzdem Rekordchampion Novak Djokovic (acht Titel in Melbourne) erster Anwärter auf den Sieg, bei den Frauen ist das Feld hingegen noch offener als ohnehin schon. Mit Spannung erwartet wird der Auftritt der Weltranglistenersten Ashleigh Barty. Nach fast einem Jahr Pause holte die Australierin am Sonntag bei der Yarra Valley Classic in Melbourne ihren neunten Einzel-Titel – und lässt ihre Landsleute vom ersten Heimsieg bei den Australian Open seit 43 Jahren träumen.
Die Turbulenzen sollen aber schon vor dem ersten Aufschlag vergessen sein. Am Sonntag bekräftigte Turnierdirektor Craig Tiley, dass eine Absage „katastrophal“ gewesen wäre, da angeblich sogar der Verlust des Grand-Slam-Status gedroht hätte. Trotz Pandemie machten es die Organisatoren aber möglich, dass ab Montag sogar bis zu 30 000 Zuschauer täglich in die Stadien strömen werden – und das Bild des „Happy Slam“ in die Welt senden. sid