Ein paar Wochen erst ist es her, als wir glaubten, nun müsse alles doch nicht ganz so schlimm kommen. Wir hatten da schon Albträume von Kindern, die mühsam ihren Körper aus dem Bett wälzen, sich auf dünnen Beinchen zum Tisch schleppen, wo der Laptop steht, vor dem sie nun den ganzen Tag hocken, Schule, Sport, Treffen mit Freunden, alles virtuell. Dann haben wir den Joachim Hermann gehört, Bayerns Innenminister, der Hoffnung machte, weil er eine Erkenntnis ansprach, die während Corona in Vergessenheit zu geraten schien. Nämlich dass Sport gesund ist, gerade für Kinder. Und dass man alles daransetzen müsse, dem Attribut Sportland Bayern auch in diesen bewegungsarmen Zeiten bald wieder gerecht werden zu können.
Wer aber nach Hermanns Vorstoß nun gedacht hatte, alles wird gut, der wurde dieser Tage eingeholt von der Realität. Bei den aktuellen Lockerungsdebatten hat man den Breitensport gleich wieder weit nach hinten verfrachtet. Obwohl nicht nur der DFB einen flammenden Appell an die Politik gerichtet, den Sport nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung bezeichnet hat. Nicht um des Sports Willen, so die Präsidenten Keller und Koch, nein, im Sinne der Gesundheitsförderung und sozialer Beziehungen. Wir werden nämlich, befürchtet auch der Sportkinesiologe Werner Klingelhöffer, eine reichlich verstörte Jugend vorfinden, wenn der ganze Spuk mal vorbei ist. Und nicht nur eine noch korpulentere, als wir sie schon vor Corona hatten.
Wir sollten uns sorgen. Sport fördert ja nicht nur die Fitness, sondern auch die emotionale und soziale Intelligenz. Gerade der Mannschaftssport. Der aber, so hat es Markus Söder via „Bild“-Zeitung gerade Kindern erklärt, sei vorerst weiter nicht möglich. Stattdessen Individualtraining, allein. Wie langweilig. Zum Kindsein gehört doch auch das Toben, das Spielen, jeder wird das merken, der mal junge Katzen und Hunde beobachtet. Die loten aus, was der Körper hergibt, bis sie erschöpft sind. Vielleicht sind Kinder heutzutage auch deshalb oft nervig, weil ihnen solche Grenzerfahrungen mehr und mehr fehlen. Und dann müssen sie später als Manager teure Kurse bezahlen, in denen sie über glühende Kohlen gehen, um sich selbst zu erfahren.
Immerhin scheint nicht nur Söder das Thema Kinder endlich für sich entdeckt zu haben, allerdings ohne befriedigendes Ergebnis. Selbst wenn die Schulen Schritt für Schritt geöffnet werden, Sport wird erst mal nicht angeboten. Und keiner ist da, der, wie in anderen Bereichen, einen Stufenplan anregt, wie man den Kindern ihren Sport zurückgeben könnte. Ist wohl nicht so relevant, die Politiker können sich dabei ja auf Studien berufen, die lange vor der Pandemie festgestellt hatten, dass Grundschüler sich weniger als eine Stunde am Tag bewegen. Also durchaus zu vernachlässigen.
Oder gerade deshalb nicht? Auch um Kinder und Jugendliche resistenter gegen Viren zu machen, wäre es schon sinnvoll, das Immunsystem zu stärken, an frischer Luft, mit viel Bewegung. Also wünschen Sportverbände wie der DFB, dass der Breitensport in Deutschland vor diesem Hintergrund in seiner Wichtigkeit begriffen, wahrgenommen und schlussendlich akzeptiert wird. Und damit bei allen Lockerungsvorstößen endlich die Wertigkeit bekommt, die ihm zusteht. Aus physischen wie psychischen Gründen.
Sport ist so essenziell. Aber dass es nur einen Fußball gibt, wie Keller und Koch sagen, um eine angebliche Einheit von Profis und Amateuren zu beschwören, stimmt nicht mehr. Längst ist gerade Koch ein großer Förderer des eFootball, dem virtuellen Spiel an der Konsole. Wenn das die Zukunft des Fußballs nach Corona ist, dann könnten unsere schlimmsten Albträume von schwergewichtigen Kindern, die sich nur noch zwischen Bett und Laptop bewegen, wirklich bald zur neuen Normalität werden.