„Künftig lieber zu Mamas Geburtstag“

von Redaktion

Corona hat die Fan-Interessen massivst verschoben – sagt Alexander Fischer vom Club Nr. 12

München – Alexander Fischer, 34, gehört zu den Bayern-Fan, die immer dabei waren. Dann kam Corona – und mit der Pandemie die leere Tribüne. Unser Interview mit dem Pressesprecher der Fan-Vereinigung Club Nr. 12.

Am 8. März 2020 hat der FC Bayern das letzte Heimspiel vor Fans bestritten. Erinnern Sie sich?

Ja, da haben wir unsere Choreografie zum 120. Geburtstag des Vereins gemacht. Dass der letzte Stadionbesuch ein Jahr her ist, empfinde ich als surreal. An einigen Tagen denke ich: ‚Oh Gott, schon ein Jahr.’ An anderen Tagen kommt es mir so vor, als sei es das Normalste auf der Welt, dass ich am Samstagnachmittag Fahrrad fahre statt zum Fußball zu gehen.

Die Geisterspiele verfolgen Sie also nicht?

Nur ganz wenige. Ich habe es beim Champions-League-Finale versucht und mich zu Tode gelangweilt. Das Pokalspiel gegen Kiel habe ich auch eine Halbzeit lang gesehen – und es war mir total egal, wie es ausgeht. Ab und zu schaue ich noch die Amateure, aber sonst nichts.

Werden Sie nach der Pandemie so dabei sein wie vorher, oder bleibt bei Ihnen etwas hängen?

Ich glaube, dass bei mir etwas hängen bleibt – vor allem aufgrund der Aussagen einiger handelnder Personen. Es ist auch nicht verwunderlich, dass sich einige Spieler dumm anstellen und ihr Fehlverhalten in den sozialen Medien sogar noch dokumentieren.

Sie scheinen vom Hygienekonzept nicht überzeugt zu sein.

Wenn das Hygienekonzept im Profi-Fußball so einwandfrei funktionieren würde, hätte der FC Bayern nicht vier Coronafälle in kurzer Zeit gehabt. Das beste Konzept scheitert am schwächsten Faktor – und der schwächste Faktor ist immer der Mensch.

Als es um die Fortsetzung der Bundesliga ging, war Demut ein viel gebrauchtes Wort.

Demut gab es nur solange, bis die nächste Rate der TV-Gelder überwiesen war. Experten sagen schon länger, dass die Blase Profifußball früher oder später platzt.

War die Corona-Krise eine Art Brandbeschleuniger?

Die Fußballclubs haben in der Krise jede Menge Kredit verspielt – und das nicht nur im Ultra-Bereich. Ich sehe es in meinem Freundes- und Bekanntenkreis auch bei Personen, die nichts mit Fußball zu tun haben. Sie sagen: ‚Die Fußballer haben es übertrieben.’ Die Menschen durften kaum noch die eigenen vier Wände verlassen, und die Fußballclubs sind quer durch die Weltgeschichte gereist.

Kehren die Fußball-Fans zurück, wenn die Pandemie überstanden ist?

Es wird interessant sein zu sehen, was passiert, wenn Corona überstanden ist und die Leute sich daran gewöhnt haben, am Samstag nicht mehr ins Stadion zu gehen. Beim FC Bayern wird das keine Auswirkungen haben, bei kleineren Vereinen schon. Gehen die Menschen dann noch zu einem Viertligaspiel oder fahren sie bei gutem Wetter lieber mit der Familie an den Starnberger See? Der große Fußball wird sich weiter drehen – wenn es sein muss, um sich selbst.

Auf die kleinen Clubs und den Nachwuchsfußball aber kommen Riesenprobleme zu. Wie sieht das Fan-Leben aus?

Im engen Freundeskreis haben wir ab und zu Kontakt über Whatsapp, aber das normale Fan-Leben ist tot. Leute, die wir bisher 80 Mal im Jahr gesehen haben, treffen wir jetzt höchstens mal zufällig beim Einkaufen.

Die Prioritäten haben sich verschoben?

Meine Freundin und ich wollen nächstes Jahr heiraten. Bisher hätten wir auf den Spielplan geachtet, damit die Bekannten vom Fußball kommen können. Inzwischen sagen wir: ‚Wenn es mit dem Spielplan passt, passt es. Wenn nicht, dann nicht.’ Es gibt auch sonst immer mehr Fans, die sagen: ‚Wenn Mama Geburtstag hat und die Bayern zeitgleich spielen, gehe ich lieber zu Mama.’ Die Prioritäten haben sich massivst verschoben.

Interview: Jonas Austermann

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