„Ich bedanke mich bei Jogi Löw“

von Redaktion

Paul Breitner über die Arbeit und Qualität des scheidenden Bundestrainers

München – Paul Breitner (69) war immer eine der kritisch-sten Stimmen im deutschen Fußball, als Kolumnist heizte er einigen Bundestrainern ein. Das Urteil des Weltmeisters von 1974 und früheren Bayern-Stars über den zuletzt umstrittenen Joachim Löw ist jedoch von Wertschätzung geprägt. Im Interview erzählt er, welche Erwartungen er an den Mann nach Löw hat. Und worum es in der Nationalmannschaft geht.

Herr Breitner, der Bundestrainer hat seinen Abschied angekündigt. Sie waren stets großer Fan von Joachim Löw.

Ich mag den Begriff „Fan sein“ nicht. Darum: Ich bin kein Fan von Jogi Löw, sondern ich finde ihn klasse. Ich schätze ihn auch persönlich, weil er eine ruhige und sehr angenehme Art hat. Und nachdem er den Schlussstrich gezogen hat, kann ich für mich feststellen – seitdem ich mir anmaße, über Bundestrainer zu urteilen –, dass er den wichtigsten Job perfekt gemacht hat.

Inwiefern?

Er war derjenige, der Deutschland den Rumpel-Fußball nach dieser unsäglichen Europameisterschaft 2004 in Portugal ausgetrieben und anschließend eine Mannschaft geformt hat, die 2014 Weltmeister wurde. Jogi hat damals mit einigen anderen Bundesliga-Trainern erkannt, dass es Viertel nach zwölf war mit unserem Fußball. Es war damals ein Gebolze, Mann gegen Mann und zum Teil noch mit einem Ausputzer hinten drin. Löw war es, der federführend Top-Fußball in die Bundesliga und die Nationalmannschaft gebracht hat. Und davon zehren wir heute noch. Das hat für mich einen noch höheren Stellenwert als der WM-Titel.

Also sind die Verdienste von Jogi Löw höher einzuschätzen als von anderen Bundestrainern?

Genau das meine ich damit. Helmut Schön, Jupp Derwall, Franz Beckenbauer, Berti Vogts, Erich Ribbeck: Die hatten alle Mannschaften, die aus zwei Dutzend fertigen und international erfahrenen Spielern bestanden. Keiner dieser Trainer musste seinen Spielern sagen, wie er den Ball zu stoppen oder sich zu bewegen hat. Die haben das automatisch gekonnt. Nur: Ab Mitte der 90-er Jahre hat sich der Fußball weltweit in eine neue Richtung entwickelt. Wir aber sind stehen geblieben. Und dann kam irgendwann Gott sei Dank Jogi Löw. Er hat den deutschen Fußball revolutioniert und ihn endlich dort hingebracht, wo andere Nationen – die nur noch über uns gelacht haben – schon waren.

Waren Sie von seiner Entscheidung überrascht?

Für mich ist diese Entscheidung die einzig richtige. Sie ist logisch und kam Schritt für Schritt, beginnend mit dem Ausscheiden bei der WM 2018 in Russland. Dann hat Löw gesagt: Ich werde mich jetzt nicht schlachten lassen. Ich werde versuchen, das Steuer noch mal rumzureißen. Ich werde versuchen, eine neue Mannschaft aufzubauen. Als er aber gemerkt hat: Hoppala, es reicht mit dieser Mannschaft noch nicht, hat Jogi beschlossen, die anstehende Europameisterschaft zu retten. Indem er die Spieler, die er rasiert hat, zu einem Comeback einladen wird. Um dieses Turnier mit einem vernünftigen Ergebnis zu beenden.

Kurze Zwischenfrage zur EM: Glauben Sie, dass das Turnier 2021 überhaupt stattfindet?

Ich kann es mir ganz schwer vorstellen. Wir müssen ja nur schauen, in welchem Zustand sich die Pandemie derzeit befindet und was im Moment passiert. Darum gehe ich davon aus, dass die EM nicht wie geplant im Juni stattfindet, sondern eher im Herbst. Weil wir dann mit dem Impfpass wieder Zuschauer in den Stadien hätten. Die Zahlen steigen wieder. Darum hielte ich eine Entscheidung, die im Moment getroffen werden müsste, für den falschen Weg. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass das zu verantworten ist.

Zurück zu Löw. Zeigt sein Rücktritt nach der EM Größe oder ist es Eigennutz, sich mit vielleicht noch mit einem Titel aus dem Amt zu verabschieden?

Weder noch. Jogi hat überhaupt keinen Grund, selbstverliebt nur an sich zu denken und sich zu fragen: Wie ziehe ich meinen Kopf aus irgendeiner fiktiven Schlinge? Nein! Es ist die richtige Entscheidung für diese Mannschaft. Was würde es nutzen, einen neuen Bundestrainer vor der EM zu holen, der dann vielleicht irgendetwas Neues machen muss, um eine Duftmarke zu setzen? Jogi geht bewusst das Risiko ein, sich bei der EM noch mal ein blaues Auge zu holen, dass der neue Bundestrainer keines abbekommt. Er hält für seinen Nachfolger vorsorglich noch mal den Kopf hin. Das ist ein Abgang mit Stil.

Womit wir schon bei der Nachfolge-Diskussion wären.

Ach, es ist doch ganz normal, dass drei, vier oder mehr Namen fallen. Nur: Ich habe da noch nie mitgemacht und werde es auch in Zukunft nicht tun. Ich mache nur beim Thema mit: Was muss der neue Bundestrainer für ein Typ sein?

Verraten Sie es uns!

Wir brauchen keinen Typen, der die unbedingte Nummer eins werden will. Die Nummer eins sind nach wie vor die Spieler auf dem Platz. Wir brauchen auch keinen Bundestrainer, der sich als Motivator sieht und das Spiel 90 Minuten mit rauf und runter geht. Denn: Der Nationalspieler, der einen Bundestrainer als Motivator braucht, der ist sowieso falsch gewickelt. Wir brauchen jemanden, der mit allen Wassern gewaschen ist, was den aktuellen Fußball und mögliche Weiterentwicklungen angeht. Der das alles versteht, um aus den besten deutschen Spielern die beste Nationalmannschaft zu machen.

Was noch?

Eine wichtige Aufgabe ist, ein harmonisches Miteinander zu schaffen. Jeder muss sich wohlfühlen und auf jedes Länderspiel, Trainingslager und Turnier freuen. Egal wie viel er spielt! Den Spielern muss das Gefühl vermittelt werden: Ich werde gleich behandelt, egal ob ich unter den ersten Elf bin oder auf der Ersatzbank. Einer der wichtigsten Gründe für den Erfolg der Nationalmannschaft ist nicht die Taktik, so ein Schmarrn! Man muss eine Stimmung erschaffen, die es jedem Spieler leicht macht, seine maximale Leistung zu erreichen. Das ist etwas, was Jogi Löw perfekt konnte.

Und auch stark nach dem Trainer Hansi Flick klingt . . .

(überlegt): Das mag sein. Nur: Wir können den Hansi Flick wegen seiner großen Erfolge leichter beurteilen. Es gibt sicherlich auch den einen oder anderen Kandidaten, der die angesprochenen Eigenschaften ebenfalls hat. Das aber nur nicht zeigen kann, weil er eine schlechtere Mannschaft trainiert und damit beschäftigt ist, in der Bundesliga zu überleben oder ein Team in die Champions League oder Europa League zu führen. Wir dürfen uns beim neuen Bundestrainer nicht von einem Namen blenden lassen. Es kommt schlichtweg auf die Arbeit der Kandidaten an. Vor allem auf das zwischenmenschliche Arbeiten. Um nix anders geht’s. Das sollte beim DFB auch bekannt sein.

Können Sie sich Jogi Löw auch als Vereinstrainer vorstellen?

(lacht): Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen! Der Jogi wäre ja von der Bremse gebissen, wenn er sich das antun würde. Seien Sie mir nicht böse, aber es wäre so, als ob ein Bundespräsident plötzlich bei sich daheim in den Gemeinderat gehen würde.

Was wünschen Sie ihm für die Zukunft?

Ich wünsche ihm gar nix, weil ich überhaupt niemandem etwas wünsch’ – mir auch nicht. Das ist nicht mein Ding. Aber: Ich bedanke mich – und das ist mir viel wichtiger – als Fußballfan. Und da hat das Wort Fan wieder seine Bedeutung: Ich bedanke mich bei Jogi für eine grandiose, einzigartige Leistung, die er seit 2004 gebracht hat.

Interview: Manuel Bonke

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