Unterhaching – Ex-Stürmer Sandro Wagner übernimmt ab Sommer die U19 der SpVgg Unterhaching. Was er dort vorhat und wie er seine weitere Trainer-Karriere plant, verrät der 33-Jährige im Interview.
Herr Wagner, im Sommer übernehmen Sie Ihren ersten Trainerposten. Wie kam es dazu?
Kurze Antwort: Die Entscheidung, dass ich Trainer werden möchte, ist schon vor sieben, acht Jahren gereift.
Und warum jetzt die U 19 Hachings?
Es gibt ja die Generation Ex-Spieler, die das Selbstverständnis hat, sofort Cheftrainer einer ersten Mannschaft sein zu müssen. Das könnte ich womöglich auch irgendwie hinbekommen, aber ich möchte diesen neuen Berufszweig lieber fundiert lernen.
Wie genau?
Ich habe parallel zum Spieler-Dasein viel bei meinen Trainern oder denen der zweiten Mannschaften reingeschaut. Zum Beispiel bei Julian Nagelsmann in Hoffenheim. Dort habe ich teilweise bereits an Trainersitzungen teilgenommen, weil es mich immer wahnsinnig interessiert hat, warum Trainer ihre Teams wie ausrichten. Seitdem ich meine Karriere vor knapp einem Jahr beendet habe, habe ich versucht, so viel wie möglich zu hospitieren. Zudem war ich bis vor Kurzem beim DFB als Stürmertrainer der U-Nationalmannschaften tätig, um erste Trainererfahrungen zu sammeln. Ich bin extrem ambitioniert, deswegen gehe ich meinen ersten Schritt hier in Unterhaching. Das ist ja nicht der einfachste zu Beginn.
Wie meinen Sie das?
Es gibt Nachwuchsleistungszentren oder Verbände, in denen du quasi gar nicht verlieren kannst. Die Spieler sind so gut, dass du auch als qualitativ schlechterer Trainer kaum schlecht aussehen kannst. Aber dir wird dort so sehr geholfen und so viel abgenommen, dass dir am Ende die Basics fehlen. Wenn ich woanders hingegangen wäre, hätte ich – übertrieben formuliert – 16 Co-Trainer, 24 Physiotherapeuten und drei Videoanalysten haben können. Hier in Unterhaching ist der Club absolut professionell aufgestellt, aber natürlich muss ich viel mehr Dinge selbst machen. Und darauf habe ich auch richtig Lust.
Wie ist die Entscheidung für Haching gefallen?
Ich wollte nicht gleich im Profibereich anfangen, weil ich noch an ein paar Dingen schrauben und meinen Werkzeugkasten vergrößern muss. Ich muss zum Beispiel lernen, wie ich taktische und individuelle Trainingseinheiten am besten gewichte. Und in der Jugend kann man sich noch ein bisschen mehr ausprobieren. Die Prämisse war außerdem, erst mal in der Region zu bleiben – das habe ich meiner Familie versprochen. Meine Frau hat irgendwann gesagt: „Haching!“ Und ich habe geantwortet: „Ja, Haching.“ So sicher wie bei dieser Entscheidung pro Haching war ich mir in meiner Karriere noch nie – außer bei der Rückkehr zum FC Bayern vielleicht.
Viele Nachwuchstrainer wollen wegen der finanziellen Absicherung schnell nach oben.
Ja, das ist ein großes Problem im Nachwuchsfußball. Wenn man sich die NLZs anschaut – und ich hau jetzt nicht auf alle drauf –, da gibt es leider Trainer, die mit ihren oder anderen Beratern unschöne Dinge anstoßen, weil sie schnell vorankommen möchten. Und es gibt auch Trainer, die einfach hoch möchten, weil sie schnell Geld verdienen müssen – oder wollen. Das ist kontraproduktiv für die Entwicklung von jungen Spielern. Als Trainer nimmst du dann ja nicht mehr den Spieler in den Mittelpunkt, sondern dich selbst. Gerade im NLZ muss immer der Spieler im Mittelpunkt stehen.
Was heißt das für Sie?
Ich denke, es ist gut, dass ich nicht darauf angewiesen bin, wegen des finanziellen Aspekts schnell hochzukommen. Ich will hochkommen, da bin ich richtig hungrig drauf. Aber: Ich will es mit einer gesunden Basis schaffen! Und ob das in fünf oder 15 Jahren passiert, ist zweitrangig. Aber ich bin mir sicher, dass ich oben ankommen werde.
Haben wir auch wegen der Trainer aktuell große Probleme im Jugendbereich?
Unser Status quo ist nicht überragend, aber auch nicht ganz schlecht. Dafür haben wir eine zu gute Basis in Deutschland. Und da sind wir beim Thema Spezialisten, deren Entwicklung in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde.
Wie meinen Sie das?
Zum Beispiel der Trend zuletzt mit der Falschen Neun – oder generell, dass jeder Spieler alles im Spiel können und vollkommen variabel sein muss – das ist der größte Sch . . . dreck! Es ist zwar schön, wenn ein Mittelfeldspieler wie Joshua Kimmich auch Rechtsverteidiger spielen kann, aber brauch ich das? Ich brauch es nicht, wenn ich theoretisch auf jeder Position Spezialisten habe. Und das ist mein Ansatz: Ich will auf jeder Position Spezialisten, natürlich mit vielseitigen Fähigkeiten. Wenn diese dann mal ausfallen, gibt es bestimmte Positionsprofile und Taktik-Rahmen, wie man dies kompensieren kann.
Und wie wollen Sie sich solche Spezialisten in Unterhaching formen?
Mit individualisiertem Training, mit Freiheit. Du musst ein Training aufsplitten: Was bringt es einem Mittelstürmer, wenn er die ganze Woche Elf gegen Elf spielt? Ich muss als Trainer individuell auf ihn eingehen: Wie läuft er in die Box ein? Wie stellt er sich in den Gegner? Geht er lieber erst in den Gegner rein, um Bälle zu halten? Das gilt für jede Position.
Was ist noch wichtig?
Die Jungs müssen gewinnen wollen! Bei allen Dingen, die wir ihnen beibringen, brauchen sie diesen Siegeswillen und sollten sich in dem Moment ärgern, wenn sie verlieren. Ich muss immer lachen, wenn Ex-Profis über die neue Generation generell sagen: „Da ist doch keine Mentalität mehr.“ So ein Quatsch! Schau dir mal den Jo Kimmich an: Wenn der ein Trainingsspiel verliert – der beißt in den Rasen! Dem Nachwuchs diese Mentalität zu vermitteln zählt heutzutage sicher zu den schwierigsten Aufgaben.
Warum?
Bildlich gesprochen: Heutzutage haben die Kinder sogar beim Abendessen einen Fahrradhelm auf, sie haben eigentlich überall einen Fahrradhelm auf. Wir packen sie in Watte, was für die Entfaltung der Persönlichkeit schädlich ist. Das lässt sich auf den Fußball übertragen. Der ist für mich auch da ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Wie vermittelt man Ehrgeiz?
Das meiste muss von den Spielern selbst kommen, das ist auch eine generelle Sache der Persönlichkeit. Aber ich will diese Eigenschaften gezielt fördern, indem ich zum Beispiel viel mit Wettkampf-Charakter trainieren lasse. Ich nehme ein Beispiel aus meiner Jugendzeit unter Stefan Beckenbauer bei Bayern: Wenn wir ein Trainingsspiel gemacht haben, durfte die Gewinner-Mannschaft die Bälle quer über den Platz bolzen und die Verlierer mussten sie aufsammeln. Das ist in dem Moment lustig, aber trotzdem hat es mich persönlich immer enorm geärgert. Ich wollte das nächste Spiel unbedingt gewinnen. Mit solchen Kleinigkeiten kannst du eine Gewinner-Mentalität spielerisch triggern.
Interview: Manuel Bonke, Jonas Austermann